„Berlin ist für mich Vielfalt und Bewegung.“ Im Interview spricht Melia Kara über ihre Heimatstadt Berlin, ihren Weg zur ersten großen Hauptrolle im Kinofilm „Ellbogen“ und warum es ihr leichtfiel, die von Wut geprägte Rolle zu verkörpern. Zudem verrät sie, was sie sich besonders für junge Zuschauende wünscht, die den Film sehen.
Am 5. September 2024 startete der neue Film „Ellbogen“ von Aslı Özarslan in den Kinos. Die deutsch-türkische Filmemacherin ist vor allem durch ihre beeindruckenden Dokumentarfilme bekannt, die sich mit gesellschaftlich relevanten Themen auseinandersetzen. Ihre feinfühlige Herangehensweise und ihr engagierter Blick auf komplexe soziale Fragen haben sie zu einer wichtigen Stimme im deutschen Kino gemacht. Nach dem Erfolg ihres Dokumentarfilms „Dil Leyla“ wagt sich Özarslan nun an die Verfilmung eines Romans, der bereits für Aufsehen gesorgt hat: „Ellbogen“ von Fatma Aydemir. Der Roman „Ellbogen“, der 2017 erschien, behandelt zentrale Themen wie Migration, Identität und die schwierige Balance zwischen verschiedenen Kulturen.
Er erzählt die Geschichte von Hazal Akgündüz, einer jungen Deutschtürkin, die in Berlin aufwächst und sich zwischen den Erwartungen ihrer Familie und der deutschen Gesellschaft hin- und hergerissen fühlt. Der Film setzt genau hier an und beleuchtet Hazals Suche nach Zugehörigkeit in einer Welt, die ihr wenig Raum für ihre eigene Identität lässt. Für die Rolle der Hazal wurde die Nachwuchsschauspielerin Melia Kara gecastet, die bis dahin noch keine größeren Schauspielerfahrungen gesammelt hatte. Ihr Weg zum Film war alles andere als gewöhnlich: Sie wurde zufällig auf der Straße angesprochen.
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Der Film Journalist: Wie war dieser Prozess hin zur ersten großen Kinohauptrolle?
Melia Kara: Ich wurde tatsächlich von der Straße gecastet. Mit meinen Mädels wurde ich angesprochen, weil sie wohl schon ein bestimmtes Bild im Kopf hatten. Zuerst hieß es nur, es sei ein „Ellbogen“-Projekt, vom Kinofilm war da noch keine Rede, sonst hätte ich vielleicht auch noch ein bisschen mehr Angst gehabt. Meine Freundinnen hatten nicht so viel Lust, aber ich dachte mir: Warum nicht? Nach dem Abi etwas Geld verdienen? Also habe ich ein E-Casting eingeschickt. Monate hörte ich nichts und hatte es schon vergessen, bis ich plötzlich zur nächsten Runde eingeladen wurde. Nach mehreren Runden habe ich die Rolle bekommen. Der Prozess dauerte insgesamt anderthalb Jahre.
Der Film Journalist: Wie ist deine Faszination für Schauspiel entstanden?
Melia Kara: Ich war immer künstlerisch interessiert und bekam oft das Feedback, ich solle in diese Richtung gehen. Witzigerweise ergab auch ein Berufstest in der Schule Schauspielerin. Aber die Entscheidung, einen künstlerischen Beruf auszuüben, ist oft eine finanzielle Frage. Deshalb habe ich Wirtschaftskommunikation studiert, aber mein Herz schlug immer für etwas Künstlerisches. Deswegen bin ich ganz froh, dass sich das Leben irgendwie für mich entschieden hat.
Der Film Journalist: Regisseurin Azli Özerslan meinte in einem Interview, dass ihr wichtig war, dass Hazal durch eine Berlinerin verkörpert wird, die den Berliner Slang authentisch rüberbringt. Was bedeutet Berlin für Dich?
Melia Kara: Berlin ist für mich Vielfalt und Bewegung. Dadurch, dass ich hier aufgewachsen bin, ist es auch Familie, Heimat, Freundschaft und auch das Gefühl, dass alles möglich sein kann. Dass du morgens mit einem Leben aus der Tür gehst und abends mit einem anderen Leben nach Hause kommst, und dass sich alles so radikal schnell verändern kann. Es ist Aufregung, auch ein bisschen Gefahr, das ist so ein bisschen die Berliner Luft, aber ja – I love it!
Der Film Journalist: Azli Özerslan sagte einmal, dass Hazal weder das perfekte Mädchen mit Migrationshintergrund noch das Opfer sei – doch wer ist Hazal denn für dich, was macht sie aus?
Melia Kara: Hazal ist unglaublich vielschichtig. In ihrer Freundesgruppe ist sie eher zurückhaltend, fast eine graue Maus. Aber sie weiß genau, was sie nicht will, und dieser innere Antrieb, bloß nicht in eine Schublade gedrängt zu werden, gibt ihr Feuer. Sie ist ein kluges, introvertiertes Mädchen auf der Suche nach sich selbst.
Der Film Journalist: Wie ist Hazals Verhältnis zu ihrer Mutter?
Melia Kara: Es ist schwierig. Hazals Mutter lebt nach außen hin, wahrt den Schein und drängt sie in einen Beruf, den Hazal nicht will. Es fehlt die emotionale Verbindung. Hazal sucht nach dieser Nähe, aber ihre Mutter stößt sie immer wieder ab. Es ist ein Kreislauf, den wahrscheinlich auch Hazals Mutter durchlaufen hat, aber für Hazal ist es schmerzhaft, da sie sich missverstanden fühlt.
Der Film Journalist: In „Ellbogen“ geht es ja zentral um Wut. Eine Emotion wird bei Männern oft als Ehrgeiz und bei Frauen als Hysterie wahrgenommen, doch gerade bei jungen Frauen, wie den Protagonistinnen in „Ellbogen“, kann sie ein wichtiger Antrieb sein, um ihren eigenen Weg zu finden. Wie Azli Özerslan einmal sagte, habt ihr bei den Proben gar nicht speziell an den Szenen, sondern zentral auch an der Erarbeitung dieser Wut und wie man für den Film kanalisiert gearbeitet habt. Wie war es, die Wut in Hazal zu entwickeln?
Melia Kara: Ich bin glücklicherweise so erzogen worden, dass ich Wut zeigen darf. Daher fiel es mir leicht, auf dieses Gefühl zuzugreifen. Allerdings war es auf Dauer belastend, so lange wütend zu sein, da der Körper diese Emotionen ja wirklich spürt.
Der Film Journalist: Was war die herausforderndste Szene?
Melia Kara: Also da fällt mir natürlich die Stunt-Szene ein. Es war mitten in der Nacht, und du musst auf so viele Details achten – die Choreografie, die Kamera, die Mimik. Außerdem musst du die Wut auf Knopfdruck abrufen, auch wenn dein Körper sich längst beruhigt hat. Das war körperlich und emotional sehr anstrengend, aber ich bin mit dem Ergebnis zufrieden.
Der Film Journalist: Perspektivlosigkeit, Unterdrückung oder auch die Barrieren der Mehrheitsgesellschaft – „Ellbogen“ wirft viele sehr wichtige Themen auf und deshalb würde ich gerne zum Abschluss fragen: Welche Botschaft soll das Publikum aus „Ellbogen“ mitnehmen?
Melia Kara: Ich hoffe, dass junge Zuschauer den Film mit dem Gefühl verlassen, sich nicht in eine Rolle drängen zu lassen, die sie nicht wollen. Auch wenn alle gegen dich sind, hast du die Kraft, deinen eigenen Weg zu gehen – und du brauchst dafür keine Zustimmung von anderen!
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