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Sophia Bösch im Interview zu „Milchzähne“: „Eine klassische Geschichte darüber, was es heißt, als Frau in der patriarchalen Gesellschaft zu bestehen“

In ihrem Debütfilm hat die bereits preisgekrönte Filmemacherin Sophia Bösch den Roman „Milchzähne“ von Helene Bukowski verfilmt. Im Interview erzählt sie, was ihr bei der Verfilmung der Geschichte am wichtigsten war.


Sophia Bösch im Interview zu „Milchzähne“: „Eine klassische Geschichte darüber, was es heißt, als Frau in der patriarchalen Gesellschaft zu bestehen“
Bildnachweis: © farbfilm verleih / Fotograf Patrick Becher

Mit schwedischen Wurzeln, aufgewachsen in der Schweiz und filmisch ausgebildet in Stockholm, Göteborg und Babelsberg, vereint Sophia Bösch kulturelle Vielfalt und ein breites Spektrum künstlerischer Einflüsse. Ihr Kurzfilm „Där barn jag lekt“ wurde für den Förderpreis der schwedischen Filmindustrie nominiert, die Kurz-Dokumentation „Meinungsaustausch“ gewann den deutschen Short Tiger 2017, und mit ihrem Abschlussfilm „Rå“ feierte sie nicht nur Premiere auf der Berlinale, sondern wurde auch mit dem Studio Hamburg Nachwuchspreis sowie dem Deutschen Kurzfilmpreis ausgezeichnet. Jetzt hat sie mit „Milchzähne“ ihr Langfilmdebüt inszeniert – eine Adaption des dystopischen Romans von Helene Bukowski.


„Milchzähne“ erzählt die Geschichte von Skalde, einer jungen Frau, die in einer abgeschotteten Dorfgemeinschaft lebt. Als Tochter einer Außenseiterin kämpft sie um Akzeptanz und wird schließlich ein respektiertes Mitglied der Gesellschaft. Doch als ein fremdes Kind im Wald auftaucht, stellt Skaldes Impuls, es aufzunehmen, die fragile Ordnung infrage. Zwischen Loyalität zur Gemeinschaft und dem Schutz des Kindes muss sie riskante Entscheidungen treffen. Warum sie diese Geschichte besonders berührt hat, welche Faszination Naturszenarien für sie ausüben und welche Botschaft sie ihrem Publikum mit auf den Weg geben möchte, erzählt Sophia Bösch im Interview.


Der Film Journalist: „Milchzähne“ ist der Debütroman von Helene Bukowski. Wie bist du auf das Buch gestoßen und was hat dich an der Geschichte gereizt?


Sophia Bösch: Mir wurde das Buch 2019 von der Produktionsfirma Weydemann Bros. zugetragen, nachdem sie meinen 30-minütigen Kurzfilm „Rå“ gesehen hatten. Sie hatten die Filmrechte am Buch gekauft, und als ich es las, war ich sofort begeistert. Der Roman ist besonders, erzeugt direkt filmische Bilder, erzählt eine epische Geschichte und hat zugleich eine kammerspielartige Konstellation von drei Frauen aus drei Generationen im Zentrum – das hat mich sehr gereizt.


Sophia Bösch mit Hauptdarstellerin Mathilde Bundschuh:

Sophia Bösch im Interview zu „Milchzähne“: „Eine klassische Geschichte darüber, was es heißt, als Frau in der patriarchalen Gesellschaft zu bestehen“
Bildnachweis: © farbfilm verleih / Fotograf Patrick Becher

Der Film Journalist: Wie bist du an die filmische Adaption herangegangen, wie war der Drehbuchprozess mit Roman Gielke, und wie verlief die Zusammenarbeit mit Helene Bukowski?


Sophia Bösch: Die Zusammenarbeit mit Roman [Gielke] war eng, wie schon bei meinem Kurzfilm zuvor. Über zwei Jahre haben wir das Drehbuch gemeinsam entwickelt und geschrieben. Mit Helene [Bukowski] war es auch eine sehr schöne Erfahrung – sie überließ uns ihre Geschichte entspannt und mit einer großen Offenheit für unsere Interpretation. Das hat mir geholfen, meinen eigenen Zugang zu dem Stoff zu finden und herauszuarbeiten, was für mich der Kern der Geschichte ist, der mir naheliegt und den ich erzählen kann.


Der Film Journalist: Wie hast du diesen eigenen roten Faden gefunden, was war dir bei der Verfilmung der Geschichte besonders wichtig, und was aus dem Roman hat es nicht in den Film geschafft?


Sophia Bösch: Mich hat vor allem Skaldes innere Reise berührt: Ihr großer Wunsch, zu einer Gemeinschaft zu gehören, der aber immer mehr mit ihrer eigentlichen Zugehörigkeit im Konflikt steht. Denn während Skalde von der Dorfgemeinschaft akzeptiert wird, solange sie sich anpasst und nach deren Regeln spielt, wird ihre Mutter als „Fremde“ gesehen und ausgeschlossen, weil sie sich den Regeln dieser Gemeinschaft eben nicht unterwirft. Damit steht Skalde zwischen den

Stühlen – sie muss einen Teil ihrer Identität verleugnen, um eine andere Identität zu erfüllen. Ihr Wunsch nach Zugehörigkeit geht so weit, dass sie fast vergisst, wer sie ist, und schließlich eine Entscheidung treffen muss ...


Sophia Bösch im Interview zu „Milchzähne“: „Eine klassische Geschichte darüber, was es heißt, als Frau in der patriarchalen Gesellschaft zu bestehen“
Bildnachweis: © farbfilm verleih

Sophia Bösch: Es ist auf eine Art also auch eine klassische Geschichte darüber, was es heißt, als Frau in der patriarchalen Gesellschaft zu bestehen. Dazu kommt eine dystopische Welt, in der die Natur übermächtig ist. Sie macht den Menschen Angst und birgt das Unbekannte. Dadurch wird sie Bühne und Protagonistin zugleich. Im Buch ist der dystopische Aspekt einer Natur, die nicht mehr viele Resscourcen für die Menschen birgt, noch stärker ausgeprägt. Das ist aber budgetmäßig gar nicht so einfach herzustellen, wenn man keine Hollywoodproduktion ist. Auch die Zeitebenen des Romans haben wir für den Film reduziert, um die Geschichte in etwa 90 Minuten greifbar zu machen.


Der Film Journalist: Wie in deinem letzten Kurzfilm gibt es auch in „Milchzähne“ nur sehr wenig Innenaufnahmen. Größtenteils spielt der Film draußen, in der Natur, die schon fast immersiv inszeniert wird. Was reizt dich an diesem Setting?


Sophia Bösch: Ich habe wie bei meinem letzten Kurzfilm eng mit Kamerafrau Aleksandra Medianikova zusammengearbeitet, die wie ich eine Vorliebe für Naturszenarien hat. Mich interessieren die alten Mythen und Narrative, die Menschen entwickelt haben, um mit dem eigenen Ausgeliefertsein und der Angst vor der Unberechenbarkeit der Natur umzugehen. Diese Motive, etwa das Unbekannte im Wald, kehren im Film wieder – aber der Film erzählt auch davon, wie aus unserer Angst vor dem was wir nicht kennen, Hass entsteht.


Sophia Bösch im Interview zu „Milchzähne“: „Eine klassische Geschichte darüber, was es heißt, als Frau in der patriarchalen Gesellschaft zu bestehen“
Bildnachweis: © farbfilm verleih / Fotograf Patrick Becher

Der Film Journalist: Skalde wird in „Milchzähne“ mit einem jungen Menschen konfrontiert, den sie nach den Gesetzen ihrer Dorfgemeinschaft nicht aufnehmen darf. Wer ist dieses Kind für dich?


Sophia Bösch: Es geht darum, dass es ein Leben ist, das es zu schützen gilt. Entmenschlichung ist ja ein gängiges Instrument aller Formen von Fremdenfeindlichkeit. Diesen Mechanismus wollten wir thematisieren.


Der Film Journalist: Was hoffst du, was man aus dem Kinobesuch mitnehmen wird?


Sophia Bösch: Meine Hoffnung ist, dass der Film unterhält, dass man mit den Figuren in all ihrer

Ambivalenz mitfühlt und trotz der Dystopie auch einen utopischen Gedanken mitnimmt – eine Idee davon, dass es einen Ausweg aus dem Patriarchat könnte.geben könnte.


  • „Milchzähne“ startet am 21. November 2024 in den Kinos. Sieh hier den Trailer:


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