In Claire Burgers deutsch-französischer Coming-of-Age-Romanze „Tandem – In welcher Sprache träumst du?“ entfaltet sich eine Geschichte über die erste große Liebe in einer komplexen Welt.
Die französische Regisseurin Claire Burger mag für viele Filmfans noch ein unbeschriebenes Blatt sein, doch ihr einfühlsamer Stil und das Talent, marginalisierte Stimmen in den Vordergrund zu rücken, haben sich bereits in der Arthouse-Szene einen Namen gemacht. Nach ihrem gefeierten Debüt „Party Girl“ (2014), das mit dem Un Certain Regard-Preis in Cannes ausgezeichnet wurde, und dem eindringlichen Drama „C'est ça l'amour“ (2018), das die Herausforderungen des Elternseins beleuchtet, setzt Burger ihren einzigartigen Erzählstil nun in ihrem dritten Film „Tandem – In welcher Sprache träumst du?“ fort. Für ihren dritten Langspielfilm ließ sich Burger von ihren eigenen Erfahrungen als Jugendliche inspirieren, die sie während Sprachaufenthalten im Ausland machte.
Darum geht es:
Die 17-jährige Fanny aus Straßburg kommt mit viel Gepäck am pulsierenden Leipziger Hauptbahnhof an, doch anstelle ihrer Austauschpartnerin Lena wird sie von deren Mutter Susanne abgeholt. Fanny fühlt sich allein und verloren in der fremden Stadt und bemerkt bald, dass Lena wenig Interesse an ihr hat. Um ihre Aufmerksamkeit zu gewinnen, erfindet Fanny ein aufregenderes Leben.
Die Rezension:
In Claire Burgers Film „Tandem – In welcher Sprache träumst du?“ begegnen sich zwei Jugendliche in einer Zeit des Wandels und der Ungewissheit. Auf den ersten Blick geht es um die Annäherung zweier Teenager, Fanny und Lena, im Rahmen eines Schüleraustauschprogramms. Was jedoch als schlichte Coming-of-Age-Romanze beginnt, wird schnell von einer Vielzahl weiterer Themen überlagert. Es ist ein Versuch, die Komplexität der Generation Z mit all ihren Herausforderungen und Konflikten darzustellen, und dieser Ansatz ist sowohl eine Stärke als auch eine Schwäche des Films.
Das Drehbuch von Claire Burger und Léa Mysius skizziert ein breites Spektrum an gesellschaftlichen Herausforderungen, die gegenwärtig Jugendliche betreffen: von der ungewissen politischen Lage über den Klimawandel bis hin zu den Auswirkungen extremer rechter Ideologien. Diese Themen sind zweifelsohne relevant und verleihen der Geschichte eine zeitgemäße Note, dennoch bleibt der Film an der Oberfläche, wenn es darum geht, diese komplexen Fragen näher zu beleuchten.
Die anekdotischen Erwähnungen von Umweltaktivismus, Rassismus und familiären Konflikten wirken oft wie hastige Stichpunkte, die zwar die Dringlichkeit der Themen unterstreichen, aber nicht die nötige Tiefe erreichen, um emotional zu fesseln. Obwohl der Film sich bemüht, ein differenziertes Bild der gegenwärtigen Jugend zu zeichnen, ist er dadurch jedoch auch so thematisch überladen, dass er immer wieder unter der Last seiner Themen einbricht und seine erzählerische Richtung aus dem Auge verliert. Während Fanny und Lena mit ihren eigenen persönlichen Konflikten kämpfen, spiegelt sich in ihren Geschichten das Gefühl der Überforderung wider, das viele Jugendliche heutzutage empfinden.
In einer Welt, in der Informationen in einem rasanten Tempo auf sie einprasseln, vermittelt der Film das Gefühl, dass die jugendliche Suche nach Identität durch äußere Umstände stark beeinflusst wird. Das Potenzial für eine wirkliche Auseinandersetzung mit diesen Themen bleibt jedoch aus und es bleibt bei der Nennung von Schlagworten. Doch trotz der vielen politischen und gesellschaftlichen Anliegen, die Burger im Film anreißt, bleibt die Liebesgeschichte der beiden Mädchen der emotionale Kern der Erzählung. In ihren kleinen, zärtlichen Momenten scheint der Film besonders stark, weil hier die Figurenzeichnung fein und nachvollziehbar ausgestaltet ist. Lilith Grasmug verkörpert Fanny, die zwischen introvertierter Zurückhaltung und dem Verlangen nach Begehren und Anerkennung schwankt, mit nuancierter Vielschichtigkeit.
In ihrer Darstellung der Mobbing-geplagten Fanny verleiht Grasmug den Szenen eine verletzte Intensität, die es dem Publikum ermöglicht, hinter die Fassaden ihrer Figur zu blicken. Der Film verknüpft Fannys Neigung zur Lüge mit dem psychologischen Phänomen der Mythomanie, auch bekannt als Pseudologia phantastica. Diese psychische Störung äußert sich in zwanghaftem Lügen, das häufig aus dem tiefen Bedürfnis resultiert, sich eine alternative Realität zu schaffen. Fanny, wie der Film subtil andeutet, konstruiert eine Scheinwelt, um ihre Unsicherheiten und den Drang nach Anerkennung zu kompensieren.
Josefa Heinsius als Lena ist eine weitere bemerkenswerte Entdeckung. Sie verleiht ihrer Figur eine selbstbewusste, energisch-extrovertierte Ausstrahlung und lässt durchblicken, dass hinter ihrem äußeren Trotz eine tiefe Desillusionierung verborgen ist. Zusammen entfalten die beiden Schauspielerinnen eine elektrisierende Chemie, die schnell zum Herzstück des Films wird. In der visuellen Gestaltung des Films zeigt Kameramann Julien Poupard ein feines Gespür für die Stimmungen der Protagonistinnen. Die gedämpfte Farbpalette, dominiert von Blau- und Grautönen, spiegelt die melancholische Atmosphäre wider und verstärkt die emotionale Intensität der Szenen.
Die handgeführte Kameraführung lässt die Zuschauenden die Intimität und Unmittelbarkeit der Erfahrungen von Fanny und Lena hautnah erleben. Diese technische Entscheidung trägt dazu bei, dass der Film in den entscheidenden Momenten emotional greifbar wird und die Zuschauenden tief in die innere Welt der Figuren eintauchen können. Musikalisch wird der Film von einem kraftvollen Soundtrack untermalt.
Die elektronischen Beats und dichten Klanglandschaften von Rebeka Warrior setzen die Tonalität des Films und unterstützen die emotionalen Höhen und Tiefen der Handlung. Der Soundtrack verstärkt die zärtlichen, aber auch rauen Momente und spiegelt die Komplexität der jugendlichen Gefühle wider. So wird die musikalische Untermalung zu einem integralen Bestandteil der Erzählung und trägt zur Intensität der emotionalen Erfahrungen bei.
Fazit:
„Tandem – In welcher Sprache träumst du?“ ist ein ambitionierter Film, der sowohl die zarte Anfänglichkeit einer Jugendliebe als auch die drängenden gesellschaftlichen Fragen der heutigen Zeit beleuchtet, dabei jedoch oft zu überladen ist.
>>> STARTTERMIN: Ab dem 24. Oktober 2024 im Kino.
Weitere Informationen zu „Tandem – In welcher Sprache träumst du?“:
Genre: Coming-Of-Age, Drama, Romanze
Produktionsjahr: 2023
Laufzeit: 101 Minuten
Altersfreigabe: FSK 12
Regie: Claire Burger
Drehbuch: Claire Burger, Léa Mysius
Besetzung: Josefa Heinsius, Lilith Grasmug, Nina Hoss und viele mehr ...
Trailer zu „Tandem – In welcher Sprache träumst du?“:
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