Ein neuer Nachbar, eine unerwartete Offenbarung und die erste große Liebe – Anthony Schattemans „Young Hearts“ erzählt eine Coming-of-Age-Geschichte, die Mut machen soll. Wie gut ist diese belgisch-niederländische Koproduktion, die bei der 74. Berlinale 2024 uraufgeführt wurde?
Die gesellschaftliche Akzeptanz von Homosexualität ist in den letzten Jahrzehnten zwar deutlich gestiegen, doch das Coming-out bleibt für viele Jugendliche eine Hürde und steht häufig unter dem Einfluss von Unsicherheiten, familiärem Druck und der Angst vor Diskriminierung. So versuchen viele aus Sorge vor negativen Reaktionen, ihre wahren Gefühle über einen längeren Zeitraum zu unterdrücken, wie die Studie „Coming-out – und dann…?!“ des Deutschen Jugendinstituts (DJI) aus dem Jahr 2020 herausfand. Genauer gesagt fürchten 74 Prozent der Befragten eine Zurückweisung durch Freunde, 69 Prozent durch Familienmitglieder und 66 Prozent rechnen mit verletzenden Bemerkungen oder Blicken.
Zudem befürchten über die Hälfte (61 Prozent) Probleme in Schule oder Beruf, während 37 Prozent sexuelle Belästigungen erwarten. Allerdings will Anthony Schatteman in seinem Film „Young Hearts“ nicht diese gesellschaftlichen Hindernisse beleuchten, sondern eine mutmachende Geschichte über das Outing und dessen Akzeptanz erzählen, die er sich nach eigener Aussage schon für seine Kindheit gewünscht hätte.
Darum geht es:
Der 14-jährige Elias staunt nicht schlecht, als mitten im Schuljahr ein neuer Nachbar in sein Leben tritt: Alexander, ein selbstbewusster und fröhlicher Junge, der gerade aus Brüssel zugezogen ist. Die beiden verstehen sich auf Anhieb blendend und verbringen jede freie Minute miteinander. Doch eines Tages überrascht Alexander Elias mit einer Offenbarung: Er steht auf Jungs. Elias ist völlig durcheinander. Während er nach außen hin versucht, cool zu bleiben, tobt in ihm ein Sturm der Gefühle. Denn plötzlich merkt er, dass Alexander mehr für ihn bedeutet, als er sich je hätte vorstellen können. Aber was sollen die anderen denken?
Die Rezension:
Anthony Schattemans erster Langspielfilm „Young Hearts“ verbindet autobiografische Elemente mit einer universellen Coming-of-Age-Geschichte und zeigt in seiner heiteren Erzählung, wie ein Outing idealerweise ablaufen könnte. Der belgische Regisseur, der zuvor Kurzfilme und Jugenddramaserien machte, hat hierfür aus seiner eigenen Kindheit sowie der Auseinandersetzung mit der ersten großen Liebe und seiner sexuellen Identität ein filmisches Märchen geschaffen, das neue Akzente in einen ansonsten recht konventionellen erzählerischen Rahmen setzt.
Im Zentrum der Handlung steht der schüchterne, noch unsichere Teenager Elias, dessen Gefühlswelt auf den Kopf gestellt wird, als der gleichaltrige Alexander in seine Klasse wechselt. Schatteman nutzt diese klassische Ausgangssituation, um in erster Linie die Verschmelzung von schwärmerischer Verliebtheit und der Suche nach einer eigenen Identität zu erkunden. Dramaturgisch bewegt sich „Young Hearts“ strikt entlang der bekannten Stationen eines Coming-of-Age-Dramas, die Erzählstruktur orientiert sich am Bauplan vieler Teenager-Romanzen: Szenen im Schulkontext, spontane Ausflüge in die Natur und versteckte Momente der Zweisamkeit.
Dies wirkt zwar zuweilen sehr konventionell, wird jedoch durch die sensible Annäherung der beiden jugendlichen Hauptfiguren erweitert, da hier nicht das übliche Mädchen-Junge-Schema abläuft, sondern die Beziehung zweier Jungs im Mittelpunkt steht. Die Besonderheit liegt dabei auch darin, dass Elias zunächst den klassischen Weg eines Jugendlichen zu beschreiten scheint und, wie sein großer Bruder, der in jeder Hinsicht der heterosexuellen Norm entspricht, eine feste Freundin hat. Doch da Beziehungen im frühen Teenageralter gewöhnlich noch recht platonischer Natur sind, merkt Elias erst nach und nach, dass die Gefühle, die er für Alexander zu entwickeln beginnt, nicht ebenfalls für Valerie empfinden kann.
Die große Stärke von „Young Hearts“ liegt dabei in seinen beiden Hauptdarstellern, die in einem umfangreichen Casting-Verfahren mit über 1.500 Jugendlichen gefunden wurden und im Film mit beeindruckender Natürlichkeit faszinieren. Lou Goossens bringt als Elias die Unsicherheiten und inneren Kämpfe eines Jugendlichen, der sich erstmals verliebt, nachvollziehbar hevor. Dabei zeigt er auch gerade viel durch seine Mimik, die oft mehr erzählt, als Worte es könnten. Die immer deutlicher werdenden Spannungen zwischen Elias und seiner familiären Umgebung – vor allem seinem Vater, der ihm wenig Rückhalt zu bieten scheint und in einer Scheinwelt aus musikalischer Selbstdarstellung zu leben droht – verstärken diesen inneren Konflikt. Marius De Saeger sorgt als Alexander hingegen für eine lockere, fast schon unbekümmerte Note, die Elias zusätzlich ins Wanken bringt: Er sieht in Alexander nicht nur den Auslöser seines Gefühlschaos, sondern zugleich eine Projektionsfläche für Träume und Hoffnungen.
Für „Young Hearts“ kehrte Anthony Schatteman in seinen Heimatort Wetteren zurück, eine Stadt in der belgischen Provinz Ostflandern, etwa 10 Kilometer südöstlich von Gent, die rund 25.000 Einwohner zählt und vor allem für ihre Blumen- und Pflanzenzucht sowie die jährliche Blumenausstellung „Floralien“ bekannt ist. Dadurch ist die Geschichte, die Schatteman erzählt, ungemein autobiografisch angehaucht. In der Straße, in der Protagonist Elias lebt, ist auch er aufgewachsen. Aber auch die Schule, die Wohnung der Eltern und der Fluss, in dem er einst schwamm, dienten nun als Drehorte der fiktionalisierten Geschichte, die der Filmemacher in die Gegenwart verlegte, wodurch die Handlung auch durch Nachrichten auf Smartphones erzählt wird, die es in seiner Kindheit noch nicht gab.
Wie Anthony Schatteman wächst auch Elias in einer Familie mit einem Musiker als Vater auf. Im Film ist dies der fiktive Sänger Luk Montero, der mit seiner im Oktober 2024 tatsächlich veröffentlichten Debütsingle „De Eerste Liefde“ (auf Deutsch „Die erste Liebe“) zentral vertreten ist. Geert Van Rampelberg liefert mit Luk Montero als einzige leichte Konfliktrolle, die lange mehr Augen für sich selbst als für die Probleme seines Sohnes hat, eine überzeugende und nicht überhöhte Darstellung. Denn „Young Hearts“ versteht es, die Gefühlswelt von Teenagern ernst zu nehmen und zu zeigen, wie prägend die erste Liebe sein kann. Mit einer vorwiegend handgeführten Kamera bleibt Schatteman seinen Figuren stets nah, wodurch deren Emotionen unmittelbar und greifbar wirken.
Dabei setzt Schatteman oftmals weniger auf Dialoge und mehr auf nonverbale Ausdrucksformen, wie Blicke und Gesten, um die Emotionen seiner Figuren zu vermitteln. Gerade für ein junges Publikum mag diese Herangehensweise einen hohen Identifikationswert haben. Allerdings wird die Wirkung der Erzählung durch eine teilweise vorhersehbare Dramaturgie eingeschränkt. Während Filme wie Lukas Dhonts „Close“ die Tragik und Komplexität jugendlicher Gefühle und sozialer Konflikte aufgreifen, bleibt „Young Hearts“ in seiner Darstellung einer heilen Welt fast etwas sehr naiv. Schatteman verfolgt erkennbar den Ansatz, jungen Zuschauenden ein positives Identifikationsangebot zu machen. In vielen Szenen wird unverhohlen deutlich, dass die Geschichte Mut machen will, sich zu seinen Gefühlen zu bekennen – gerade in einer noch unsicheren Phase des Lebens.
Diese Absicht ist löblich und betont die Wichtigkeit eines freundlichen Umfelds, das es ermöglicht, sexuelle Identität angstfrei zu entwickeln, wodurch sämtliche gesellschaftliche Konflikte aber auch meist ausgeklammert bleiben. Stattdessen evoziert „Young Hearts“ das Bild einer harmonischen Welt, in der Akzeptanz und Toleranz fast selbstverständlich zu sein scheinen. Zwar strahlt dieser optimistische Grundton Wärme aus, lässt aber auch eine komplexere Auseinandersetzung mit der Realität und möglichen Herausforderungen eines Outings weitgehend vermissen. So bleibt der Film zwar einerseits nahbar und lädt das Publikum zum Mitfühlen ein, während es andererseits Gefahr läuft, die wahren Schwierigkeiten einer sexuellen Selbstfindung zu umschiffen.
Fazit:
Anthony Schattemans „Young Hearts“ erzählt eine berührende Geschichte über Liebe, Identität und den Prozess des Outings, wobei die lockere Erzählweise einen schnellen Zugang zum Film ermöglicht, wenngleich die recht konventionelle Inszenierung gerade zum Ende hin ein sehr idealisiertes Bild zeichnet.
>>> STARTTERMIN: Ab dem 16. Januar 2025 im Kino.
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Weitere Informationen zu „Young Hearts“:
Genre: Drama, Coming-Of-Age
Laufzeit: 100 Minuten
Altersfreigabe: FSK 12
Regie: Anthony Schatteman
Drehbuch: Anthony Schatteman
Besetzung: Lou Goossens, Marius De Saeger, Geert Van Rampelberg und viele mehr ...
Trailer zu „Young Hearts“:
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