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Kritik zu „The Beast“: Zwischen Epochen und Emotionen

Was passiert, wenn die menschliche Emotion in einer Zukunft, die von künstlicher Intelligenz beherrscht wird, zur Überflüssigkeit verurteilt wird? In „The Beast“ von Bertrand Bonello wird diese Frage zur zentralen Herausforderung einer Geschichte, die über Epochen hinweg erzählt wird.


Kritik zu „The Beast“: Zwischen Epochen und Emotionen
Bildnachweis: © Grandfilm

Der französische Regisseur und Drehbuchautor Bertrand Bonello ist bekannt für seinen unverwechselbaren Stil zwischen visueller Ästhetik und thematischer Komplexität. Bonello feierte 1998 mit seinem ersten Spielfilm „Something Organic“ auf der Berlinale seinen Einstand. Der Durchbruch kam mit „Der Pornograph“ aus dem Jahr 2001, der auf der Kritikerwoche in Cannes gezeigt wurde und den FIPRESCI-Preis gewann.


In den folgenden Jahren etablierte er sich mit Werken wie „Tiresia“, „Haus der Sünde“ und nicht zuletzt seinem gefeierten Biopic-Drama „Saint Laurent“ aus dem Jahr 2014, dass zehn César-Nominierungen erhielt und Frankreich bei den Oscars repräsentierte. Bonellos Filme werden oft von kritischen Themen begleitet und laden das Publikum dazu ein, über die Komplexität menschlicher Beziehungen und Identitäten nachzudenken. Sein neuester Film erkundet nun die menschliche Psyche mit hochaktuellem Bezug zu künstlicher Inteligenz.


Darum geht es:


Gabrielle steht allein vor einem grellen Green Screen, während eine körperlose Stimme aus dem Off Regieanweisungen gibt: Sobald das Biest erscheint, erschrecken, schreien und das Messer vom Tisch nehmen. Es ist das Jahr 2014 und sie spielt eine Szene für einen Film, dessen Realität fast ausschließlich aus computergenerierten Bildern besteht. Dreißig Jahre später ist Gabrielles glamouröses Schauspielerleben vorbei. Sie arbeitet als Datentemperatur-Eingabeprüferin, ein monotones Dasein, dass sie verzweifelt eintauschen möchte. Doch bei einem Vorstellungsgespräch mit einer weiteren körperlosen Präsenz wird ihr gesagt, sie sei zu emotional für eine andere Position. In dieser Zukunft, in der künstliche Intelligenz die Gesellschaft lenkt, gelten Emotionen als Schwäche. Wer fühlt, kann nicht effizient funktionieren.


Kritik zu „The Beast“: Zwischen Epochen und Emotionen
Bildnachweis: © Carole Bethuel / Grandfilm

Deshalb soll Gabrielle ihre DNA reinigen und sich in frühere Leben zurückversetzen. Die Reise führt sie in das Paris des Jahres 1910 und die düstere Gegenwart des 21. Jahrhunderts. Immer wieder begegnet ihr Louis, ein Mann, der durch die Zeiten hindurch scheinbar untrennbar mit ihr verbunden ist. Während Gabrielle tiefer in ihre vergangenen Existenzen eintaucht, wird die Vorahnung einer herannahenden Katastrophe immer stärker. Was hat es mit Louis auf sich und wird Gabrielle den Eingriff riskieren – oder ihr wahres Selbst für immer verlieren?


Die Rezension:


Bertrand Bonellos „The Beast“ ist ein Film, der sich gegen jede Kategorisierung wehrt und das Publikum in eine Reise zwischen Epochen, Identitäten und metaphysischen Fragen führt. Bonello inszeniert hier keine einfache Liebesgeschichte, sondern ein multidimensionales Werk, das sowohl tief in die menschliche Psyche eintaucht als auch die beunruhigenden Möglichkeiten einer Zukunft thematisiert, in der künstliche Intelligenz die Emotionen aus der Gesellschaft eliminiert. Im Mittelpunkt steht dabei die Konfrontation mit der eigenen Sterblichkeit und einer emotionalen Leere.


Kritik zu „The Beast“: Zwischen Epochen und Emotionen
Bildnachweis: © Carole Bethuel / Grandfilm

Bonello greift hier auf das Thema der Entfremdung zurück, das schon in der Literatur und Philosophie vielfach behandelt wurde. Jean-Paul Sartres Existentialismus, in dem das Individuum zwischen Freiheit und Angst gefangen ist, oder auch Aldous Huxleys „Schöne neue Welt“, in der die Gesellschaft durch künstliche Glückseligkeit gesteuert wird, schwingen im Hintergrund von „The Beast“ mit. In der Zukunftswelt von 2044 wird die Idee eines perfekten, emotionslosen Menschen realisiert, indem die DNA wortwörtlich gereinigt wird. Gefühle wie Angst, Liebe und Trauer gelten als überflüssig. Bonello stellt dabei die entscheidende Frage: Was passiert mit einer Gesellschaft, die ausschließlich rational handelt?


Philosophen wie Immanuel Kant oder Arthur Schopenhauer haben sich mit der Frage beschäftigt, inwiefern der Mensch durch seine Rationalität oder seine Emotionen definiert wird. Während Kant die Vernunft als oberstes Prinzip betrachtete, zeigte Schopenhauer, wie wichtig der Wille und die Gefühle für das menschliche Dasein sind. Die künstliche Intelligenz in „The Beast“ verkörpert die kantische Rationalität, während Gabrielle den emotionalen Widerstand symbolisiert, der letztlich das Menschsein ausmacht. Gabrielles Angst vor dem titelgebenden Biest könnte als Angst vor dem Tod gedeutet werden – oder vielmehr vor dem Verlust des eigenen Menschseins.


Kritik zu „The Beast“: Zwischen Epochen und Emotionen
Bildnachweis: © Carole Bethuel / Grandfilm

Dabei verzichtet Bonello bewusst auf allzu explizite Erklärungen, was dem Zuschauenden Raum für Interpretationen lässt. Ein besonders interessantes Element des Films ist die Verwendung von Puppen und anderen Symbolen, die die Frage nach der Menschlichkeit in einer technologisch geprägten Welt aufwerfen. Die Puppen, die in verschiedenen Zeitebenen auftauchen, fungieren als Sinnbild für die Entfremdung des Menschen und seine zunehmende Abhängigkeit von Maschinen.


Im Mittelpunkt der Geschichte steht die Liebesgeschichte von Gabrielle und Louis, die sich über drei Epochen erstreckt. Diese nicht-lineare Erzählweise lässt die Grenzen zwischen den Zeiträumen verschwimmen, was auch verwirren kann. Immer wieder tauchen die beiden in unterschiedlichen Zeiten auf, ihre Begegnungen scheinen von einem übergeordneten Schicksal bestimmt zu sein, das sie immer wieder zusammenführt. Die Kameraarbeit von Josée Deshaies trägt erheblich zur surrealen Atmosphäre des Films bei. Bonello und Deshaies schaffen es, die Zeitreise und die emotionale Tiefe durch sorgfältige Bildkompositionen und ausdrucksstarke Farbpaletten zu unterstreichen. Besonders die Aufnahmen, die die verschiedenen Zeitebenen miteinander verbinden, zeichnen sich durch subtile, aber wirkungsvolle Kamerabewegungen aus, die den Übergang zwischen Vergangenheit und Zukunft nahtlos erscheinen lassen.


Kritik zu „The Beast“: Zwischen Epochen und Emotionen
Bildnachweis: © Carole Bethuel / Grandfilm

Léa Seydoux, die in „The Beast“ die Rolle der Gabrielle Rolle spielt, moduliert ihre Darstellung beeindruckend zwischen den Epochen. Ihre Verkörperung ist mal verletzlich, mal stark. Auch die Chemie zwischen Seydoux und MacKay trägt viel zur Wirkung des Films bei. Ihre Interaktionen sind sowohl subtil als auch kraftvoll, gerade in den langen Dialogszenen entfaltet sich diese Chemie. George MacKay, der die Rolle des Louis nach dem tragischen Tod von Gaspard Ulliel übernahm, liefert ebenfalls eine mitreißende Performance ab.


Fazit:


„The Beast“ ist ein filmisches Erlebnis, das sowohl optisch als auch inhaltlich fasziniert. Wer bereit ist, sich auf dieses philosophisch angehauchte Science-Fiction-Drama einzulassen, wird mit einem Werk belohnt, das lange nachwirkt und zum Nachdenken anregt.


>>> STARTTERMIN: Ab dem 10. Oktober 2024 im Kino.


Weitere Informationen zu „The Beast“:

Genre: Drama, Science-Fiction, Romanze

Produktionsjahr: 2023

Laufzeit: 146 Minuten

Altersfreigabe: FSK 12


Regie: Bertrand Bonello

Drehbuch: Bertrand Bonello, Guillaume Breaud

Besetzung: Léa Seydoux, George MacKay, Guslagie Malanda und viele mehr ...


Trailer zu „The Beast“:


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