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Kritik zu „Samia“: Ein Film über Mut, Hoffnung und den Preis der Freiheit

Hast du schon von der somalischen Läuferin Samia Yusuf Omar gehört? Mit 17 Jahren trat sie bei den Olympischen Spielen an, doch ihre Geschichte ging nicht wegen ihrer Schnelligkeit um die Welt. Yasemin Samdereli bringt nun ihre bewegende Reise auf die große Kinoleinwand.


Kritik zu „Samia“: Ein Film über Mut, Hoffnung und den Preis der Freiheit
Bildnachweis: © Weltkino Filmverleih

Das Laufen gehört zu den ältesten Sportarten der Menschheit und geht zurück bis in die Antike. Die ersten olympischen Spiele, die 776 v. Chr. in Olympia stattfanden, hatten den Stadionlauf als einzige Disziplin. Über die Jahrhunderte hinweg entwickelte sich das Laufen von einem religiösen Ritual hin zu einem der beliebtesten Wettkampfsportarten der Moderne. Samia wollte auch einfach nur laufen, immer weiter und immer schneller, gegen alle Widrigkeiten, soweit ihre Füße sie trugen; sie wollte die schnellste Frau der Welt werden. Die mit vollem Namen Samia Yusuf Omar heißende Läuferin aus Somalia trat 2008 zum ersten Mal im 200-Meter-Lauf bei den den Olympischen Spielen in Peking für ihr Land an.


Nachdem Yasemin Samdereli von der bewegenden Geschichte der somalischen Läuferin erfahren hatte, war sie fest entschlossen, diese Geschichte auf die große Leinwand zu bringen. Grundlage für den Film bildet der Roman „Sag nicht, dass du Angst hast“ von Guiseppe Catozzella, der durch einen Zeitungsartikel auf das Schicksal der jungen Athletin aufmerksam wurde und nach intensiven Recherchen und Gesprächen mit Samias Schwester Hodan nicht nur Samias Werdegang als Sportlerin rekonstruierte, sondern auch die politischen und sozialen Herausforderungen in Somalia aufarbeitete. „Samia“ hat diese Geschichte nun in einer internationalen Produktion verfilmt.


Darum geht es:


Jeden Morgen rennt die neunjährige Samia auf den staubigen Straßen Mogadischus mit ihrem besten Freund, immer schneller, immer voraus. Ihr Herz schlägt für den Stadtlauf, doch während ihr Vater sie mit einem Versprechen von echten Turnschuhen motiviert, hält ihre Mutter sie mit Angst vor den Patrouillen zurück – Frauen dürfen in ihrem Land nicht laufen.


Kritik zu „Samia“: Ein Film über Mut, Hoffnung und den Preis der Freiheit
Bildnachweis: © Weltkino Filmverleih

Doch Samia übt heimlich unter dem Sternenhimmel weiter. Die Welt scheint ihr offen zu stehen, und der Olympische Traum wird greifbar. Doch ihre Reise zum Glück führt sie in eine Odyssee, die 2012 im Mittelmeer kurz vor Lampedusa endet.


Die Rezension:


In Yasemin Samderelis neuem Film „Samia“ begegnen wir nicht nur der außergewöhnlichen Geschichte der somalischen Läuferin Samia Yusuf Omar, sondern erhalten auch einen tiefen Einblick in die sozialen und politischen Verhältnisse eines Landes, das von Gewalt, Armut und religiösem Extremismus geprägt ist. Der Film wirft einen mutigen Blick auf die Hoffnungen und Träume einer jungen Frau, die sich trotz aller Widrigkeiten gegen die gesellschaftlichen und religiösen Zwänge auflehnt und bis zur Teilnahme an den Olympischen Spielen kämpft. Samdereli, die bereits durch „Almanya – Willkommen in Deutschland“ auf sich aufmerksam machte, kreierte in „Samia“ eine mehrperspektivische Erzählstruktur, die die Biographie der Läuferin mit der somalischen Geschichte verbindet.


Kritik zu „Samia“: Ein Film über Mut, Hoffnung und den Preis der Freiheit
Bildnachweis: © Weltkino Filmverleih

Samdereli lässt so auch trotz der dramaturgischen Fiktion dokumentarische Elemente, wie Archivmaterial aus Somalia, in den Film einfließen. Bombendetonationen und Schüsse hallen durch die Straßen, während Samia als Kind noch nichtsahnend ihre ersten Schritte im Laufsport macht. Ihre kindliche Unschuld wird geschickt inszeniert, indem die Kamera die Stadt aus ihrer Sicht zeigt: die weiten, staubigen Straßen, die verfallenen Gebäude und die ständige Gefahr, die in der Luft liegt. Dieser Kontrast zwischen der nüchternen, oft brutalen Realität und der träumerischen, fast kindlichen Naivität der Protagonistin wird von Samdereli geschickt genutzt, um die emotionale Fallhöhe zu verstärken und das Publikum auf eine emotionale Reise mitzunehmen.


Die Wahl, den Cast ausschließlich mit somalischen Schauspielenden zu besetzen, verleiht „Samia“ eine authentische Note, die viele andere Filme dieser Art vermissen lassen. Auch wenn es sich bei vielen der Darstellenden um Laien handelt, fällt dies kaum ins Gewicht. Trotz der schwierigen Thematik schafft es „Samia“ gerade durch die Protagonistin eine gewisse Leichtigkeit zu bewahren: Sowohl Riyan Roble, die Samia als Kind verkörpert, als auch Ilham Mohamed Osman, die die Läuferin als junge Frau spielt, schaffen es, Samias Lebensfreude und ihren Willen zum Laufen glaubhaft zu verkörpern. Besonders Ilham Mohamed Osman gelingt es, die Zerbrechlichkeit und gleichzeitig die Stärke der erwachsenen Samia zu verkörpern. Ihr Spiel ist geprägt von einer subtilen Ausdruckskraft, die tief unter die Haut geht.


Kritik zu „Samia“: Ein Film über Mut, Hoffnung und den Preis der Freiheit
Bildnachweis: © Weltkino Filmverleih

Ohne viele Worte transportiert Osman Samias innere Zerrissenheit zwischen Hoffnung und Verzweiflung. Ihre Darstellung zeigt eindrücklich, wie die scheinbar unbegrenzte Energie und Lebensfreude ihrer Kindheit nach und nach von den rigiden Vorschriften der islamistischen Milizen erstickt wird. Während der Film durchgehend die politische und soziale Situation Somalias thematisiert, gelingt es Samdereli, die individuellen Schicksale nicht aus den Augen zu verlieren und die traditionelle Gemeinschaft und die engen familiären Bande zu zeigen, die Samia trotz der politischen Unruhen Halt geben.


Insbesondere ihr Vater Yusuf wird eine zentrale Stütze in ihrem Leben. Fatah Ghedi überzeugt in der Rolle des Vaters, dessen Liebe zu seiner Tochter und seine Überzeugung, dass sie es schaffen kann, die emotionale Basis des Films bilden. Die Beziehung zwischen Vater und Tochter gibt dem Film seine emotionale Tiefe und fungiert als Anker für das Publikum, das sich in dieser innigen Verbindung wiederfinden kann.


Kritik zu „Samia“: Ein Film über Mut, Hoffnung und den Preis der Freiheit
Bildnachweis: © Weltkino Filmverleih

Die Terrorherrschaft der islamistischen Al-Shabaab-Miliz, die auch 2024 noch weite Teile von Somalia kontrolliert und die daraus resultierende Perspektivlosigkeit für viele junge Menschen sind zentrale Themen des Films. Dadurch entsteht eine Symbiose aus persönlichem Schicksal und globalen Missständen, die den Film zu einem relevanten Beitrag in der aktuellen filmischen Auseinandersetzung mit Flucht und Migration macht. Die Dreharbeiten zu „Samia“ standen vor erheblichen logistischen Herausforderungen, da es aufgrund der angespannten Sicherheitslage in Somalia unmöglich war, direkt in Mogadischu zu filmen. Stattdessen wurde die Kulisse der somalischen Hauptstadt in Malindi und Nairobi im Nachbarland Kenia nachgestellt, wobei die Filmcrew sorgfältig darauf achtete, die Authentizität und den kulturellen Kontext Somalias so realitätsnah wie möglich wiederzugeben.


Das Kamerateam um Florian Berutti liefert hier beeindruckende Bilder. Besonders die Laufszenen stechen hervor, in denen Samias Leidenschaft und ihr Streben nach Freiheit durch dynamische Kameraführung eingefangen werden. Die Kamera bleibt dabei oft nah an der Hauptfigur, wodurch eine emotionale Nähe erzeugt wird, die es dem Publikum ermöglicht, Samias Anstrengungen und ihre innere Stärke unmittelbar nachzuvollziehen. Die Farbgebung und Beleuchtung sind ebenfalls auf die Atmosphäre des Films abgestimmt. Samdereli verwendete warme, erdige Töne, um die Lebhaftigkeit und Wärme der somalischen Umgebung einzufangen, während gleichzeitig die bedrückende Realität der politischen und sozialen Umstände durch dunkle und gedämpfte Farben verstärkt wird.


Kritik zu „Samia“: Ein Film über Mut, Hoffnung und den Preis der Freiheit
Bildnachweis: © Weltkino Filmverleih

„Samia“ wirft dabei auch ein kritisches Licht auf die Bedingungen in vielen afrikanischen Ländern, in denen Talent und Potential durch politische und soziale Umstände erstickt werden. Samias Traum, bei den Olympischen Spielen zu starten, wird zum Symbol für die westliche Idee des „Durchkämpfers“, der es trotz widrigster Umstände an die Spitze schafft. Doch Samdereli zeigt in ihrem Film eindringlich, wie diese Erzählung in vielen Teilen der Welt scheitert und wie junge Menschen trotz ihres Könnens und ihrer Ambitionen oft keine andere Wahl haben, als ihre Heimat zu verlassen – in der Hoffnung, irgendwo anders ein Leben in Freiheit führen zu können. Doch der Film macht auch klar, dass diese Hoffnung oft nur eine Illusion ist. Samias Schicksal, das den Zuschauenden bis zur letzten Minute in Atem hält, zeigt auf schmerzhafte Weise, wie sehr der Traum von Freiheit und Selbstverwirklichung für viele Menschen unerreichbar bleibt.


Fazit:


„Samia“ ist ein Film, der berührt, der bewegt und der zum Nachdenken anregt. Er zeigt eindrucksvoll, was es bedeutet, in einer Welt aufzuwachsen, die einem systematisch die Freiheit entzieht, und welche unglaubliche Willenskraft es erfordert, trotzdem an seinen Träumen festzuhalten.


8 von 10 Punkten


>>> STARTTERMIN: Ab dem 19. September 2024 im Kino.


Weitere Informationen zu „Samia“:

Genre: Drama

Produktionsjahr: 2023

Laufzeit: 103 Minuten

Altersfreigabe: FSK 12


Regie: Yasemin Şamdereli

Drehbuch: Yasemin Şamdereli, Nesrin Şamdereli

Besetzung: Ilham Mohamed Osman, Elmi Rashid Elmi, Riyan Roble und viele mehr ...


Trailer zu „Samia“:


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