Nach „Tenet“ meldet sich Christopher Nolan mit einem neuen Kinofilm zurück, der in vielerlei Hinsicht besonders ist. Nicht nur stellt „Oppenheimer“ den bislang längsten Eintrag seiner Filmografie dar, sondern auch in der Umsetzung und Erzählweise offenbart sich sein neuestes Werk als bemerkenswert. Bemerkenswert gut?
Bildnachweis: © Universal Pictures. All Rights Reserved.
Nachdem Christopher Nolan sich von seinem langjährigen Filmstudio Warner Bros. trennte, da er mit der Firmenausrichtung während der Corona-Pandemie unzufrieden war – insbesondere wegen paralleler Streaming-Starts zum Kino und exklusiven Streaming-Angeboten für andere Filme – hat er eine neue Partnerschaft mit Universal Pictures geschlossen. In der Vergangenheit hatte die Zusammenarbeit mit Warner Bros. Filme wie „Inception“, „Interstellar“, „Dunkirk“ und nicht zuletzt die „The Dark Knight“-Trilogie hervorgebracht.
In all diesen Filmen spielt Zeit und Raum eine bedeutende Rolle. Wem bereits bei „Inception“ der Kopf rauchte, wird bei „Tenet“, wo wild durch die Zeit gereist und teilweise rückwärts gespult wird, noch stärker herausgefordert gewesen sein. Nicht ohne Grund wird Nolan als Meister des komplexen Kinos bezeichnet. Sein neuer Film ist äußerst komplex, und gerade weil „Oppenheimer“ schon für seine Verschachtelung kritisiert wurde, hinter der sich vermeintlich wenig Inhalt verbergen würde, werde ich in dieser Rezension erläutern, weshalb diese Erzählweise unumgänglich war, warum der Film tatsächlich genial ist und weshalb er die Geister dadurch spaltet.
Darum geht es:
Vor einem Tribunal, dass über die Aberkennung seiner Sicherheitsfreigabe entscheiden soll, reflektiert Julius Robert Oppenheimer auf seine Anfänge und vor allem auf die denkwürdige Zeit, als ihm während des Zweiten Weltkriegs die Leitung des bahnbrechenden Manhattan-Projekts übertragen wurde. Im hochgesicherten Los Alamos National Laboratory in New Mexico wurde ihm die Aufgabe auferlegt, eine Nuklearwaffe zu erschaffen, die das Gesicht der Welt verändern würde.
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Oppenheimer wurde als der visionäre „Schöpfer der Atombombe“ gefeiert, doch als die furchteinflößende Frucht seiner Erfindung in Hiroshima und Nagasaki verheerende Folgen anrichtete, versank der einst so umjubelte Physiker in tiefen Gewissenskonflikten. Die Schatten seiner Vergangenheit als Anhänger kommunistischer Ideen wurden wieder hervorgebracht, während er sich immer vehementer gegen einen alten Gönner stellen muss, der ihn in seinen Grundfesten zerstören will. Doch als Oppenheimer das Intrigenspiel erkennt, sind die Fallstricke bereits gespannt …
Die Rezension:
Eine Verfilmung des Lebens von Julius Robert Oppenheimer ist keineswegs einfach: Als „Father of the atomic bomb“ wird er einerseits er als brillanter Physiker akklamiert, jedoch trägt er auch die schwere Verantwortung für die unvorstellbaren Grauen, die seine Erfindung entfesselt hat und die die Welt für immer verändert haben?
Oppenheimers Charakter ist äußerst ambivalent und komplex, was Nolan in seinem Film aus verschiedenen Perspektiven und Tonlagen beleuchtet, um ihm und seiner historischen Bedeutung gerecht zu werden, ohne ihn zu glorifizieren oder zu verurteilen. Dabei geht der Film nicht tief in seine emotionalen Welten ein, macht jedoch den Oppenheimer sichtbar, den die Öffentlichkeit wahrgenommen hat. Und gerade wenn man die Chronologie aus dem Geschehen nimmt und den Kontext ins Geschehen einbettet, wird die Widersprüchlichkeit des Charakters greifbarer.
Doch gerade diese Herangehensweise macht die Handlung des dreistündigen Biopic-Epos anspruchsvoll und verschachtelt. Die Frage nach Loyalität, sei es gegenüber dem eigenen Land, den Mitarbeitern oder Freunden, insbesondere jenen, die in Oppenheimers Fall oft dem Kommunismus nahestanden, bilden das vordergründig zentrale Motiv. Früh im Film wird Oppenheimers Vorgesetzter in der Rückschau gefragt, ob er Oppenheimer erneut für das Manhattan-Projekt einstellen würde. Die Antwort wird zunächst offen gelassen, und die Geschichte entwickelt sich, um die Frage aus der Perspektive des Zuschauenden zu beantworten.
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Das Hauptaugenmerk liegt jedoch nicht nur auf den Fragen der Zugehörigkeit und Treue, sondern auch auf der tiefgehenden Auseinandersetzung mit den Konsequenzen der Erfindung. Wie im zentralen Werbematerial zum Film betont wird, können wir die Geschichte um Oppenheimer erst fürchten, wenn wir sie verstehen. Und diese Erkenntnis erlangen wir erst, wenn wir das entfesseln, was sie hervorbrachte. Doch um das Publikum in diesen Prozess mit hineinzunehmen, erzählt Nolan nicht stringent, sondern spannt gleich mehrere in sich verästelte dramaturgische Bögen, die erst spät ineinanderlaufen.
Die Art und Weise, wie er die Handlung präsentiert, ist nicht einfach nur verschachtelt, sondern beeindruckend. Obwohl die letzte Auflösung des Gesprächs zwischen Oppenheimer und Einstein banal erscheinen mag, hält der Film die größte Wucht für den Schlussmoment zurück. In diesem unscheinbar wirkenden Dialog steckt eine Schlusspointe, die nachwirkt. Auch die zwischenliegenden Episoden der Handlung werden clever eingebunden, sodass sich letztlich nicht der Eindruck eines unvollständigen Bildes ergibt, auch wenn sich die Bögen erst spät schließen.
Einstein und Oppenheimer:
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Nolans „Oppenheimer“ ist wie angesprochen komplex und gerade da bei einigen Auflösungen die Wucht im Detail liegt, könnte der Film noch herausfordernder als vielleicht „Inception“ oder „Tenet“ sein. Doch wenn man sich auf die Geschichte einlässt und idealerweise über ein grundlegendes Geschichtswissen verfügt, kann man von Nolans Erzählweise begeistert sein. Beeindruckend ist nicht nur die akkurate Darstellung historischer Figuren, sondern auch die Handlung, die erstaunlich nah an tatsächlichen Fakten bleibt, teilweise 1:1 den aufgezeichneten Oppenheimer-Prozess vor der United States Atomic Energy Commission zitiert. Nolans Anliegen, nicht zu stark von der Realität abzuweichen, ist spürbar. Der Kinobesuch von „Oppenheimer“ wird so zu einem wahren Geschichtsexkurs, der natürlich dramaturgisch aufbereitet wurde, aber dennoch sehr nah an historischen Fakten bleibt. Daher mag die Handlung nicht für jeden geeignet sein, aber wenn man Zugang zu ihr findet, ist sie umso fesselnder.
Nolan verwendete dafür zwei Erzählebenen, um der additiven Erzählweise der Buchvorlage „American Prometheus: The Triumph and Tragedy of J. Robert Oppenheimer“ von Martin J. Sherwin und Kai Bird zu entkommen. Dadurch konnte er zwischen Vergangenheit und Gegenwart springen. Gerade bei einem so von der Theorie geprägten Szenario wie einer Atombombe ist es durchaus sinnvoll, sowohl die Perspektive danach als auch die davor zu betrachten und die Argumente dafür und dagegen abzuwägen. Ähnlich wie aus Kernspaltung und Fusion eine Atombombe entsteht, verschmilzt und spaltet Nolan auch geschickt das Geschehen, was nicht nur ein Gimmick darstellt, sondern auch eine äußerst fesselnde Erzählweise bietet.
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Wie erwartet, hat Nolan die Geschichte in einen epischen Film verpackt, der auf der großen Leinwand eine beeindruckende audiovisuelle Wucht entfaltet, wie man sie wohl nur von wenigen weiteren Filmemachern erleben kann. Besonders wenn das Geschehen auf den Trinity-Test zusteuert, werden die Bilder immer größer. Der Kinosaal erzittert, während die Erzählung in immer schnellerem Tempo voranschreitet. Der kantige Schnitt trägt dazu bei. Schon in den Trailern wurde geschickt mit dem Gimmick einer runterzählenden Bombe gespielt, und im gesamten Film bis zum Trinity-Test wird dieser Countdown subtil vorangetrieben, verstärkt durch energische Schnitte.
Mit hartem Kontrast und einer wachsenden Unruhe gelingt es Nolan, das Geschehen immer weiter einzuschränken, bis der Trinity-Test bedrohlich still einen erschreckenden Ausblick darauf gibt, was die entstandene Waffe auslösen kann. Obwohl die Bombe selbst eine untergeordnete Rolle spielt, entfesselt Nolan das Feuer wie Prometheus und bringt die Leinwand zum Entflammen, als würde das gewaltige Feuer buchstäblich aus der Leinwand brechen. Es ist schlichtweg bemerkenswert, wie Nolan ohne digitale Effekte und mit handwerklichen Spielereien die Atombombe und den Trinity-Test auf die große Leinwand bringt, sodass Bilder entstehen, die sich wortwörtlich unauslöschlich ins Gedächtnis brennen.
Dazu trägt auch die phänomenale Kameraarbeit von Hoyte van Hoytema bei, der das Spiel mit Perspektiven meisterhaft beherrscht und im Verlauf des Geschehens mal enger und mal weiter wird, um dann wieder den Fokus auf Details zu setzen. Von imposanten Totalen bis hin zu Nahaufnahmen vom in sich zerrissenen Oppenheimer - die Bildsprache ist wieder einmal großes Kino, episch und bombastisch untermalt von Ludwig Göransson. Wie bei Nolan üblich, wird der Soundtrack nicht nur als Begleitung verwendet, sondern als ein Stilmittel eingesetzt. An manchen Stellen wird der Soundtrack sehr kraftvoll eingesetzt und zusammen mit den eindrucksvollen Bildern drückt er den Zuschauer fest in den Sitz und erfüllt den gesamten Kinosaal mit bombastischem Klang. Elektronische, abgehackte Klänge dominieren den Score, während dissonante Geigenstreicher beim Trinity-Test hervorstechen.
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Trotz aller Ambivalenz ist Oppenheimer in Nolans Film klar der Protagonist der Geschichte, der sich einer Kaskade von Dilemmata gegenüber sieht, während er bereits vom inneren Konflikt zwischen Idealismus und Opportunismus zerrissen ist. Seine Verpflichtung gegenüber einem wissenschaftlichen Ethos der Neugierde wird auf die Probe gestellt, als er erkennt, dass wissenschaftliche Theorien nicht nur theoretische Freiräume darstellen, sondern konkrete Auswirkungen auf Gesellschaft und Politik haben. Ob Cillian Murphy einen Oscar für seine Performance erhalten wird, bleibt abzuwarten, aber seine brillante Darstellung des Oppenheimer sollte bereits unbestritten sein. Er gleicht äußerlich und mimisch dem Vater der Atombombe auf beeindruckende Weise. Als Hauptdarsteller trägt er den Film mit einer fesselnden Präsenz. Je mehr sich das Geschehen beengt, je näher rückt auch die Kamera auf Murphy, dessen in Stirnrunzeln versunkenes Gesicht immer wieder das Bild einnimmt.
Zu Beginn verkörpert Murphy die Figur Oppenheimer noch sorglos und beschwingt. Durch leichte Bewegungen und ein verschmitztes Auftreten offenbart er den brillanten jungen Mann, der sich seiner Intelligenz auch durchaus bewusst ist und viele Freiheiten beansprucht, um ungehindert forschen zu können. Mit fortschreitendem Handlungsverlauf und dem zunehmenden Verständnis für die Tragweite seiner Taten wird er ruhiger, aber entschiedener. Sein Charakter wird zerrissener, was Murphy im Gegensatz zum Anfang stärker durch mimische Darstellung betont. Körperlich wird er steifer und fast unbeweglich, ein Kontrast zu seiner anfänglichen Lebhaftigkeit.
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Der Philanthrop und Akademiker Lewis Strauss dagegen beginnt als Unterstützer von Oppenheimer, entwickelt sich jedoch im Laufe der Handlung zum mächtigen Widersacher und Hauptantagonisten des Films. Als führendes Mitglied der United States Atomic Energy Commission spielte Strauss eine entscheidende Rolle bei der politischen Entscheidung zum Bau der ersten Wasserstoffbombe namens „Mike“. Seine vorübergehende Amtsübernahme als Handelsminister der Vereinigten Staaten im Jahr 1958 markierte einen Höhepunkt seiner politischen Karriere.
Nach einer knappen einjährigen Amtszeit unter Eisenhower scheiterte Strauss jedoch überraschend an der Bestätigung durch den US-Senat, was zu seiner politischen Niederlage am 10. August führte. Sein Abstieg wurde durch sein als überheblich wahrgenommenes Auftreten und eine unter Eid gemachte Falschaussage beschleunigt. Interessanterweise trugen die entscheidenden Nein-Stimmen zu seiner Ablehnung von den Senatoren Stuart Symington, John F. Kennedy und Lyndon B. Johnson bei, die später als Präsident bzw. Vizepräsident die politische Rehabilitierung von Robert Oppenheimer vorantrieben. Regisseur Nolan verwebte nun geschickt diesen politischen Prozess und verknüpft ihn mit jenem, den Strauss einst für Oppenheimer inszenierte, um ihn zu Fall zu bringen.
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Robert Downey Jr. verkörpert die Rolle des Lewis Strauss auf faszinierende Weise – eine höchst ambivalente Darstellung, die mimisch beeindruckend nah an der realen Person ist. Der mehrfach Oscarnominierte Schauspieler, bekannt aus den Marvel-Filmen, liefert eine beeindruckende Leistung als Gegenspieler Lewis Strauss und bietet eine einzigartige wie subjektive Perspektive auf Oppenheimer.
Wie Robert Downey Jr. selbst betonte, ist „Oppenheimer“ der beste Film, an dem er je mitgewirkt hat, und auch seine schauspielerische Leistung dürfte zu seinen besten zählen, denn sein zunächst unauffälliges Spiel wirkt nachhaltig nach. Auch Matt Damon liefert als Lieutenant General Leslie R. Groves eine faszinierende Verkörperung ab, eine undurchsichtige Persönlichkeit, die nur sich selbst vertraut, aber auch von Oppenheimer beeindruckt ist.
Hauptdarsteller Cillian Murphy und Regisseur Christopher Nolan:
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Trotz nur zweier großer Frauenrollen bleiben diese umso mehr in Erinnerung, da sie sehr spannende Positionen zum Geschehen einnehmen und auf ihre eigene Weise auftreten. Emily Blunt als Kitty Oppenheimer und Florence Pugh sind in ihren wenigen Szenen herausragend. Der gesamte Cast ist grandios, und Lobeshymnen könnten auch auf Josh Hartnett, Casey Affleck, Kenneth Branagh und nicht zuletzt Rami Malek angestimmt werden, der im Finale eine starke Szene hat. Kurz gesagt: „Oppenheimer“ ist durchweg ganz großes Kino, sowohl vor als auch hinter der Kamera, in ruhigen und pompösen Momenten!
„Sie sind der Mann, der den Menschen die Macht gegeben hat, sich selbst zu vernichten. Und die Welt ist dafür nicht bereit.“
Fazit:
Christopher Nolan hat sein Versprechen eines großartigen Kinos für die Leinwand gehalten und verwirklicht. „Oppenheimer“ ist ein visuelles Meisterwerk, ein historisch beeindruckend genauer Geschichtsexkurs mit einer vielschichtigen Handlung, verschiedenen Motiven und Themen, sowie einer Starbesetzung, die ihresgleichen sucht. Nolans neuer Epos mag nicht jedermanns Geschmack treffen, doch wer sich darauf einlässt, erlebt einen der besten Filme von Nolan und des gesamten Kinojahrs.
9 von 10 Punkten
„Oppenheimer“ ist seit dem 20. Juli 2023 in den Kinos.
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