Der gefeierte Arthouse-Horror-Regisseur Robert Eggers hat seinen vierten Spielfilm gedreht. In seinem neuesten Werk nimmt er sich eines der ikonischsten Werke des Genres vor und verspricht dabei eine faszinierende Neuinterpretation.
Robert Eggers hat sich in den letzten Jahren als einer der spannendsten Regisseure des modernen Horror- und Arthouse-Kinos etabliert. Bekannt für seine detailverliebten, atmosphärischen Filme, die oft tief in historischem und folkloristischem Material verwurzelt sind, hat sich Eggers innerhalb eines Jahrzehnts einen Namen in der Filmwelt verschafft. Eggers' Spielfilmdebüt „The Witch“ aus dem Jahr 2015 war ein sofortiger Erfolg in der Welt des Indie-Horrors.
Mit dem Kammerspiel „The Lighthouse“ aus dem Jahr 2019 vertiefte Eggers seine Faszination für Isolation und Wahnsinn und mit seinem dritten Spielfilm „The Northman“ aus dem Jahr 2022 wagte sich Eggers an ein episches Wikingerspektakel, das auf der nordischen Mythologie und der Sage von Amleth basiert. Nun hat er sich einer Neuverfilmung von Friedrich Wilhelm Murnaus „Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens“ angenommen.
Darum geht es:
Thomas Hutter wird nach Transsylvanien entsandt, um auf Schloss Orlok ein Geschäft abzuschließen. Doch je länger er dort verweilt, desto stärker wächst das Gefühl, dass der Graf kein Mensch ist. In den Schatten lauert etwas Uraltes, das sich nach Leben sehnt – und Orlok hat es auf Hutters Frau Ellen abgesehen. Während der Graf sich auf den Weg macht, um Ellen für immer in seinen Bann zu ziehen, bleibt Thomas kaum Zeit. Kann er das drohende Grauen noch aufhalten – oder ist es längst zu spät?
Die Rezension:
Kaum eine andere Kreatur hat sich so nachhaltig ins kulturelle Gedächtnis eingebrannt wie der untote Blutsauger, der in den Schatten lauert und sowohl Angst als auch Verlangen auslöst. Dabei ist es weniger das Monströse, das die Figur so nachhaltig in der Popkultur verankert hat, sondern vielmehr ihre ambivalente Natur. Vampire bewegen sich stets in der Grauzone zwischen Leben und Tod, zwischen Verführung und Zerstörung. Robert Eggers' „Nosferatu – Der Untote“ ist der neueste Versuch, diese Figur aufleben zu lassen und tritt damit in große Fußstapfen. Bereits Friedrich Wilhelm Murnaus Stummfilmklassiker von 1922 prägte das Genre und machte Max Schrecks Darstellung des Grafen Orlok zur Ikone des frühen Horrorkinos. Aber Eggers „Nosferatu – Der Untote“ ist kein einfacher Neuaufguss.
Bereits Murnau und später Werner Herzog in seiner 1979er-Version betonten die unterschwellige sexuelle Spannung zwischen Nosferatu und seinen Opfern, doch Eggers geht noch einen Schritt weiter, in dem er die oft passiv dargestellte Ellen ins Zentrum rückt. In seiner Ellen kulminiert das Thema der unterdrückten Lust und des existenziellen Verlangens. Ihre Beziehung zu Orlok ist nicht nur von Angst, sondern auch von einer beinahe fatalistischen Anziehung geprägt. Doch Eggers erzählt nicht nur von individueller Obsession, sondern auch von gesellschaftlichen Zwängen und patriarchalen Strukturen, die Ellen wortwörtlich im Korsett gefangen halten. Während Thomas Hutter zunächst als klassische Heldenfigur fungiert, die dem Bösen letztlich hilflos gegenübersteht, wird Ellen zur eigentlichen Protagonistin der Geschichte.
Nicholas Hoult gibt Thomas Hutter mit anfänglich unbeschwerter Neugier und geschäftsmännischem Pragmatismus eine fast naive Leichtigkeit, die sich im Verlauf der Begegnung mit Orlok schleichend in Unsicherheit und Kontrollverlust verwandelt. Dagegen trägt Lily-Rose Depp große Teile des Films auf ihren Schultern und liefert eine der intensivsten Leistungen ihrer bisherigen Karriere ab. Ihre Mimik und Körpersprache verleihen der Figur eine tragische Seite, die sich gegen die Opferrolle aufbäumt und im Spannungsfeld aus Lust, Angst und rebellischer Entschlossenheit den narrativen Kern Eggers‘ Nosferatu-Geschichte definiert.
Lily-Rose Depps eigene Begeisterung für Schauergeschichten wie diese spiegelt sich durchgehend in ihrer mitreißenden Spielfreude wider und zieht das Publikum unweigerlich in ihren Bann. Dabei ist ihr Spiel nicht nur mimisch sehr stark, sondern auch ihr Ringen mit der Besessenheit, das sie mit der Bewegungstrainerin Marie-Gabrielle Rotie, einer Expertin für japanisches Butoh, einstudierte. Das Exorzismus-Genre hat zwar bereits alle erdenklichen körperlichen Verrenkungen hervorgebracht, doch hier wird nie der Anschein erweckt, effekthascherisch reproduzieren zu wollen. Vielmehr wird eine eigene Form des Kontrollverlusts inszeniert.
Die Konfrontation der Menschen mit dem ultimativen Bösen ist zwar letztlich so generisch wie üblich, doch Willem Dafoe, der im weiteren Verlauf der Handlung in der Rolle des Professors Albin Eberhart von Franzek auftritt – der Ellen heilen soll – verleiht der Geschichte genug Eigenart, um eher zu unterhalten als die Atmosphäre auszudehnen. Mit einer Mischung aus Exzentrik und energiegeladenem Spiel bringt er die Handlung genau dann in Schwung, wenn es ihr besonders guttut, und wird zunehmend präsenter – bis ein scheinbar unscheinbarer Dialog mit Lily-Rose Depp zum heimlichen Highlight des Films wird.
Allerdings versucht die Figur des Albin Eberhart von Franzek durch seine anfangs sehr expositionslastigen Dialoge manches aufgebaute Mysterium derart zu rationalisieren, dass der Film sich vor dem großen Finale etwas zu sehr erklärt. Dies geschieht dann auf Kosten der Spannung und führt zu leichten Längen in der insgesamt 133 Minuten langen Laufzeit. Die langsame Erzählweise könnte bei manchen Zuschauenden insgesamt etwas Geduld erfordern. Der Fokus auf Atmosphäre und Symbolik geht teilweise auf Kosten der narrativen Stringenz. Insbesondere in der zweiten Hälfte verliert der Film an Dynamik und verlässt sich etwas sehr auf seine stilistischen Mittel. Während die ästhetische Ebene des Films durchweg beeindruckt, fehlt es der Handlung manchmal an erzählerischer Dringlichkeit, was den Spannungsbogen in der zweiten Hälfte des Films etwas abschwächt. Dafür ist das Finale umso stimmungsvoller inszeniert – sowohl spitzt sich die Gruselstimmung final zu, als auch die emotionale Liebesgeschichte einen epischen Schlusspunkt erhält.
Und auch neben der Hauptbesetzung um Lily-Rose Depp überzeugt das gesamte Ensemble. Aaron Taylor-Johnson spielt in „Nosferatu – Der Untote“ den sich der Rationalität verschriebenen Friedrich Harding, der nicht an das Übernatürliche glauben will und bis zum bitteren Ende an seinem Weltbild festhält, dabei jedoch zunehmend sich selbst verliert. Nachdem Aaron Taylor-Johnson im SSU-Blockbuster zuletzt in „Kraven the Hunter“ stark unterfordert war, zeigt er hier, was schauspielerisch in ihm steckt. Gerade zum Ende hin spielt er seinen sich in Verzweiflung verlierenden Charakter in einer Szene mit Lily-Rose Depp voll aus. Neben ihm überzeugt auch Emma Corrin, die gerade in ihrer unscheinbaren Darstellung zum Finale hin ein sehr intensives Ende ermöglicht.
Robert Eggers’ selbst verfasstes Drehbuch bleibt insgesamt nah an der erzählerischen Struktur der Vorlage und dass jahrelange Leidenschaft sowie akribische Recherche in die Verfilmung geflossen sind, ist in jeder Einstellung zu spüren. Wer also befürchtet, dass „Nosferatu – Der Untote“ ein seelenloses Remake für den kommerziellen Erfolg ist, kann beruhigt werden. Dass sich Eggers schon als Jugendlicher intensiv mit F. W. Murnaus Stummfilmklassiker auseinandersetzte, macht den Film zu einer feinen Hommage, die durch Ellen jedoch auch Eggers eigene Handschrift in die Handlung integriert und sie als zentrale Protagonistin neu verortet. Inszenatorisch setzt Eggers auf radikale Reduktion. Während Murnaus Nosferatu mit seinen spindeldürren Fingern und den bedrohlich aufgerissenen Augen zu einem der ikonischsten Bilder der Filmgeschichte avancierte, bleibt Bill Skarsgårds Darstellung des Grafen Orlok weitestgehend verborgen.
Eggers nutzt Schatten und Dunkelheit nicht nur als stilistisches Mittel, sondern als narrative Strategie. Die Bedrohung geht nicht von dem aus, was sichtbar ist, sondern von dem, was im Verborgenen lauert. Diese Zurückhaltung erzeugt eine Atmosphäre der Beklemmung, die sich langsam entfaltet und uns in einen Strudel aus Angst und Faszination zieht. Die maskenhafte Mimik, kombiniert mit der spröden, fast unnatürlichen Körperhaltung, transformiert Orlok in einen Schatten, der sich wie ein schleichendes Gift durch die Szenen zieht. Dabei ist es vor allem die seltene, aber dadurch umso eindrucksvollere Präsenz, die seine Figur so nachhaltig im Gedächtnis verankert.
Visuell ist „Nosferatu – Der Untote“ eine Hommage an den Expressionismus. Durch die Entscheidung von Robert Eggers, so viele Kulissen wie möglich selbst zu bauen, entstand eine visuelle Welt, die uns unaufhaltsam in die düstere Atmosphäre des 19. Jahrhunderts hineinzieht. Eggers’ Kollaboration mit dem Produktionsdesigner Craig Lathrop führte zu sechzig handgefertigten Sets, die mit bemerkenswerter Präzision und Hingabe zur historischen Authentizität erschaffen wurden. So schafft Eggers immer wieder sehr immersive Momente, da gerade für die fiktive deutsche Hafenstadt Wisborg ganze Straßen mit Häusern errichtet wurden und damit ganze Kamerafahrten in einer extra für den Film entstanden Stadt entstanden sind.
Besonders hervorzuheben ist die Einbeziehung der Prager Architektur sowie die aufwendigen Außendrehs am Schloss Hunedoara in Transsilvanien, die der düsteren Präsenz von Orloks Schloss eine greifbare Realität verleihen. Die Inszenierung profitierte dabei stark von Lathrops handwerklichem Können, dessen bewegliche Wände und modulare Kulissen Eggers' und Blaschkes komplexe Kamerafahrten in langen, ungeschnittenen Einstellungen ermöglichten. Eggers und sein Stammkameramann Jarin Blaschke erschaffen Bilder, die sich tief ins Gedächtnis brennen: Die spärlich beleuchteten Straßen der fiktiven Stadt Wisborg, die gotischen Schatten von Orloks Burg und das kalte Mondlicht, das die Gesichter der Figuren in eine gespenstische Blässe taucht, lassen das Remake wie ein zum Leben erwecktes Gemälde wirken.
Hier wird weniger auf vordergründige Schockmomente gesetzt als vielmehr auf das unheilvolle Verständnis für die unausweichliche Bedrohung, die in jeder Szene mitschwingt. Diese technische Raffinesse geht Hand in Hand mit der peniblen Detailgenauigkeit der Kostümbildnerin Linda Muir, deren Kreationen nicht nur die soziale Stellung der Figuren visualisieren, sondern auch die psychologische Entwicklung der Charaktere subtil unterstreichen. Muirs akribische Recherche zur Übergangszeit zwischen Regency und viktorianischer Mode zeigt sich in maßgefertigten Korsetts und maßgeschneiderten Anzügen, die die Sehnsucht der Figuren nach gesellschaftlichem Aufstieg und innerer Kontrolle reflektieren.
Während Thomas Hutter durch seine schlichte Garderobe als ambitionierter, aber mittelloser Bürger gekennzeichnet wird, spiegelt Ellens zunehmend eng geschnürtes Korsett ihre innere Zerrissenheit und die Unterdrückung ihrer dunklen Obsession wider. Zusätzlich wurde das maskenbildnerische Design von Traci Loader von einer dezenten, aber unheimlichen Ästhetik geprägt, die Wahnsinn, Krankheit und übernatürliche Elemente subtil auf die Gesichter der Schauspielenden übertrug.
Besonders die Darstellung von Knocks Verfall, mit schuppiger Haut, blauen Flecken und federkielartigen Kratzspuren, verleiht der Figur eine verstörende Intensität. Die Verwendung von speziell hergestelltem Blut für Ellens blutige Tränen ist ein weiteres Beispiel für Loaders Fähigkeit, den Horror von innen heraus entstehen zu lassen, ohne dabei auf plakative Effekte zurückzugreifen. Die Verbindung dieser aufwendigen Details erzeugt eine filmische Textur, die nicht nur visuell fesselt, sondern ihn in eine Welt zieht, die gleichermaßen real wie gespenstisch wirkt.
Ein weiteres zentrales Element ist der Einsatz von Musik und Sounddesign. Der Score von Robin Carolan und Sebastian Gainsborough ist düster und durchdringend, verstärkt das unheimliche Flair und treibt die Spannung kontinuierlich voran. Besonders hervorzuheben ist die akustische Gestaltung von Orloks Stimme, die wie ein Echo aus der Tiefe wirkt und den Vampir als allgegenwärtige Bedrohung etabliert. Die Verbindung von Bild und Ton erzeugt eine immersive Erfahrung, die das Publikum in die Welt des düsteren Blutsaugers hineinzieht. Dabei gelingt dem Film insbesondere durch die musikalische Untermalung der Genre-Spagat zwischen Horror, Suspense, Abenteuer und Romanze besonders gut.
Durch die Zusammenarbeit mit traditionellen rumänischen Volksmusikern und den Einsatz altertümlicher Instrumente wie der Toacă gelang es Carolan, eine unheimliche, fast greifbare Verbindung zur transsilvanischen Kulisse herzustellen, während orchestrale Elemente und ein vollständiger Chor die dramatische Intensität verstärken. Besonders bemerkenswert ist die Vielschichtigkeit des Scores, der von sanften Spieluhrenmelodien bis hin zu gewaltigen sinfonischen Momenten reicht und die feinen Nuancen zwischen Angst, Verzweiflung und dunkler Schönheit herausarbeitet.
Fazit:
Horror und Verführung kunstvoll vereint: Robert Eggers‘ „Nosferatu – Der Untote“ ist eine visuell beeindruckende und atmosphärisch dichte Hommage an Murnaus Klassiker, mit einer herausragenden Lily-Rose Depp und einem kaum wiederzuerkennenden Bill Skarsgård. Trotz inhaltlicher Schwächen und leichter Längen bleibt der Film ein fesselnder Albtraum, der lange nachwirkt – sofern man sich darauf einlassen kann.
>>> STARTTERMIN: Ab dem 2. Januar 2025 im Kino.
Weitere Informationen zu „Nosferatu – Der Untote“:
Genre: Horror, Drama, Romanze
Laufzeit: 133 Minuten
Altersfreigabe: FSK 16
Regie: Robert Eggers
Drehbuch: Robert Eggers
Besetzung: Nicholas Hoult, Lily-Rose Melody Depp, Bill Skarsgård und viele mehr ...
Trailer zu „Nosferatu – Der Untote“:
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