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Kritik zu „Mond“: Subtil, schonungslos, anders

Toni Schindele

Mit ihrem neuen Film „Mond“ dekonstruiert die preisgekrönte Regisseurin Kurdwin Ayub den White-Savior-Komplex durch eine Inszenierung, die bewusst andere Wege geht als viele vorangegangene Hollywood-Produktionen, die thematisch in eine ähnliche Kerbe schlagen.


Kritik zu „Mond“: Subtil, schonungslos, anders
Bildnachweis: © Grandfilm / Ulrich Seidl Filmproduktion

Kulturelle Identität, Migration und die spannungsvolle Beziehung zwischen Orient und Okzident zählen zu den prägendsten Themen unserer Zeit. Gerade im Kino bieten sich zahlreiche Möglichkeiten, diese komplexen Zusammenhänge anschaulich zu reflektieren und vielstimmig zu verhandeln. Eine besonders eindringliche Stimme auf diesem Feld ist die irakischstämmige, mehrfach preisgekrönte Filmemacherin Kurdwin Ayub, die mit ihrem 2022 erschienenen Spielfilmdebüt „Sonne“ eindrucksvoll auf sich aufmerksam machte. Nun legt Ayub mit ihrem Film „Mond“ nach.


Darum geht es:


Eigentlich sollte es nur ein gut bezahlter Neustart werden: Die ehemalige Kampfsportlerin Sarah wird engagiert, um drei reiche jordanische Schwestern zu trainieren. Doch schnell weicht die anfängliche Euphorie einem mulmigen Gefühl. Die Schwestern wirken apathisch, zeigen kaum Interesse am Training – und stehen offenbar rund um die Uhr unter Beobachtung. Was als sportliches Coaching beginnt, verwandelt sich in ein düsteres Spiel aus Kontrolle, Geheimnissen und Macht. Ist Sarah hier wirklich die Lehrerin oder längst selbst Teil eines viel größeren Plans?


Die Rezension:


Als Regisseurin, die selbst zwischen Kulturen aufgewachsen ist, gelingt es Kurdwin Ayub, tiefgreifende Fragen von kultureller Identität, Fremdheit und Machtstrukturen mit einer bewusst unsentimentalen Präzision aufzuwerfen. Statt eine romantisierende Rettungsgeschichte zu erzählen, bricht sie bewusst mit den Erwartungen des Publikums, indem sie Sarah, die vermeintliche Heldin aus Österreich, zunehmend passiv und beobachtend positioniert. Diese narrative Wahl öffnet Raum für differenzierte Reflexion über die tatsächliche Wirkung westlicher Interventionen in kulturell komplexen Kontexten. Ein zentrales Merkmal des Films ist die bewusste Auseinandersetzung mit dem White-Savior-Komplex, einer Erzählform, in der weiße Hauptfiguren als Retter inszeniert werden und damit die Eigenständigkeit nicht-weißer Figuren in den Hintergrund rückt.


Kritik zu „Mond“: Subtil, schonungslos, anders
Bildnachweis: © Grandfilm / Ulrich Seidl Filmproduktion

Denn indem marginalisierte Personen nur als Staffage oder Problembedarf fungieren, verfestigen sich kolonial-paternalistische Vorstellungen, die weißen Protagonisten moralische oder intellektuelle Überlegenheit zuschreiben. Anstelle der Hollywood-typischen Dramaturgie zeigt „Mond“ die konsequente Dekonstruktion dieses Konzepts. Ayub inszeniert ihre Protagonistin Sarah bewusst gegen den Strich und verzichtet auf jegliche Heldenhaftigkeit oder moralische Überlegenheit. Sarahs idealistische Absichten und ihr Wille zur Einflussnahme kollidieren schrittweise mit einer Realität, die sie weder kontrollieren noch vollständig erfassen kann. Ayub positioniert ihre Hauptfigur geschickt zwischen zwei Welten, denen Sarah gleichermaßen fremd bleibt. Dieser erzählerische Kniff vermeidet jegliche Vereinfachung und romantische Idealisierung einer komplexen Wirklichkeit.


Sarah ist eine komplexe Figur, da sie sich nicht leicht einordnen lässt und auch nicht in klare plakative Muster fällt, was sie auch beim Spielen herausfordernd macht. Umso spannender ist es, dass Sarah von Florentina Holzinger verkörpert wurde, einer österreichischen Choreografin und Performancekünstlerin, jedoch bisher keiner Schauspielerin mit klassischer Ausbildung. Wie ihre Rolle hat sie bereits viel Kampfsport gemacht, MMA auch, vor allem aber Kickboxen und Muay Thai, und so wirkt sie gerade im Training mit den jordanischen Schwestern sehr routiniert, authentisch und realistisch. Ansonsten kommt Holzinger zugute, dass die Rolle recht verschlossen, kantig und eigenwillig ist und sie diese stets etwas undurchschaubare Eigenwilligkeit sehr gut spielen kann und damit zu einer sehr spannenden Protagonistin wird, die jedoch keine klassische Heldenreise beschreitet.


Kritik zu „Mond“: Subtil, schonungslos, anders
Bildnachweis: © Grandfilm / Ulrich Seidl Filmproduktion

Aber nicht nur sie ist eine spannende Besetzung, auch die jordanischen Schwestern, die Sarah trainieren soll, sind nicht bereits fest etablierte Schauspielerinnen und waren im Casting-Prozess für Kurdwin Ayub auch eine Herausforderung, da sie direkt junge Frauen in Jordanien suchte. Immer wieder sagten ausgewählte junge Frauen kurzfristig ab, da Schauspielerei für Frauen dort gesellschaftlich nicht immer akzeptiert wird. Der Wendepunkt war die Besetzung von Andria Tayeh als Nour. Tayeh ist in der arabischen Welt als Model, Influencerin und Netflix-Darstellerin bekannt und motivierte die anderen Frauen, am Projekt teilzunehmen. Obwohl man bei Florentina Holzinger sowie Andria Tayeh, Celina Antwan Nagham und Abu Baker eine gewisse Unerfahrenheit bemerkt, wirkt diese nie unbeholfen, sondern stets authentisch und nachvollziehbar.


Diese Authentizität verleiht dem Film mehr Wert als eine routinierte Schauspielausbildung es könnte. In „Mond“ verzichtet Ayub konsequent auf pathetische Zuspitzungen und wählt stattdessen einen nüchternen Realismus. Besonders gelungen ist die metaphorische Inszenierung des Käfigs: Sarahs MMA-Karriere steht für Ordnung, Klarheit und Kontrolle, während die scheinbar privilegierte Lebenswelt der jungen Frauen ebenfalls als Käfig dargestellt wird – geprägt von patriarchalen Strukturen und stillschweigender Unterdrückung. Diese symbolische Überlagerung zweier Lebenswelten verdeutlicht subtil, wie nah Freiheit und Gefangenschaft oft beieinanderliegen und wie stark sie von Perspektiven abhängen. Sarahs Glaube an ihren positiven Einfluss auf die Frauen offenbart unbewusst paternalistische Züge, die Ayub meisterhaft und ohne plakative Kritik aufzeigt. Dieser Ansatz ist erfrischend, aber auch herausfordernd.


Kritik zu „Mond“: Subtil, schonungslos, anders
Bildnachweis: © Grandfilm / Ulrich Seidl Filmproduktion

Einerseits gelingt eine authentische Darstellung einer nicht idealisierten Welt, andererseits droht der bewusst reduzierte Spannungsaufbau manchmal in ein spannungsloses Plateau abzugleiten, da die Realität selten einer Hollywood-Dramaturgie folgt. Die bewusste Unterwanderung der Zuschauererwartungen ist zwar konsequent, führt jedoch gelegentlich zu Monotonie. Indem Ayub einfache Antworten verweigert und Hintergründe oder Motivationen offen lässt, schafft sie zwar Raum für Interpretation, riskiert jedoch, dass einige Szenen unklar oder inhaltlich diffus wirken. Der Film setzt stellenweise stärker auf Konzepte und Themen als auf Figurenzeichnung und Handlung, wodurch die Charaktere manchmal skizzenhaft und unnahbar bleiben und es dem Publikum erschweren, eine emotionale Verbindung zu ihnen aufzubauen.


Fazit:


„Mond“ bricht klischeefrei und analytisch mit kulturellen Erwartungen und konfrontiert das Publikum erbarmungslos mit seinen Vorurteilen. Ayubs präzise Beobachtungsgabe und ihr Mut, narrative Konventionen zu durchbrechen, machen den Film zu einem eindringlichen Erlebnis.


>>> STARTTERMIN: Ab dem 27. März 2025 im Kino.


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Weitere Informationen zu „Mond“:

Genre: Drama

Laufzeit: 93 Minuten

Altersfreigabe: FSK 16


Regie: Kurdwin Ayub

Drehbuch: Kurdwin Ayub

Besetzung: Florentina Holzinger, Celina Antwan, Andria Tayeh und viele mehr ...


Trailer zu „Mond“:


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