Eileen Byrnes Debütfilm „Marianengraben“ nimmt uns mit auf eine emotionale Reise durch Verlust und Trauerbewältigung mit Luna Wedler und Edgar Selge in den Hauptrollen.
Im Februar 2020, kurz vor dem weltweiten Ausbruch der Corona-Pandemie, fand noch die jährliche „Books at Berlinale“-Veranstaltung statt, bei der Bücher präsentiert werden, die sich besonders für eine Verfilmung eignen. Unter ihnen war auch der Spiegel-Bestseller „Marianengraben“, dessen Geschichte um den Verlust eines geliebten Menschen und die Bewältigung tiefer Schuldgefühle das Interesse der luxemburgischen Regisseurin Eileen Byrne sofort weckte. Byrne, Tochter einer deutschen Mutter und eines französisch-schottischen Vaters, hatte sich schon früh in der Kunst des Erzählens versucht und zeigte mit ihren bisherigen Kurzfilmen auf internationalen Festivals ihre Fähigkeit, starke, authentische Frauenfiguren jenseits von Klischees zu inszenieren.
In den Jahren zuvor hatte Byrne selbst einige tragische Todesfälle im nahen Umfeld erlebt, was ihren Zugang zur Thematik von „Marianengraben“ verstärkte. Der Tod des kleinen Bruders der Protagonistin und deren Gefühl der Schuld weckten sofort eine tiefe Verbindung zu ihr – auch, weil Byrne als ältere Schwester einen starken Beschützerinstinkt für ihre drei jüngeren Geschwister empfindet. Die Herausforderung, solch intime, emotionale Themen auf die große Leinwand zu bringen, zog sie in den Bann, doch die Konkurrenten um die Filmrechte des Bestsellers waren zahlreich. Nach intensiven Verhandlungen sicherte sich Byrne die Verfilmung und startete damit die Realisierung ihres ersten Kinospielfilms.
Darum geht es:
Der Albtraum verfolgt Paula jede Nacht: Der Tod ihres kleinen Bruders Tim, der im Wasser ertrank, raubt ihr den Schlaf und die Lebensfreude. An seinem zehnten Geburtstag zieht es sie auf den Friedhof, wo sie zufällig auf Helmut trifft, der mit der Asche seiner verstorbenen Frau auf der Flucht vor den Friedhofsarbeitern ist.
Gemeinsam steigen sie in Helmuts Wohnmobil und brechen auf zu einer Reise nach Südtirol, wo Helmut die Urne beisetzen möchte. Auf dieser abenteuerlichen Reise entwickelt sich zwischen Paula und Helmut eine unerwartete Freundschaft.
Die Rezension:
Mit einer Laufzeit von nur 87 Minuten ist Eileen Byrne mit ihrem Debütfilm „Marianengraben“ eine flotte und direkte Inszenierung gelungen, die die wesentlichen Botschaften und Nuancen der Romanvorlage aufgreift und – ohne wirklich inhaltliche Abschweifungen – mit einem Gespür für den natürlichen Fluss der Ereignisse, homogen und stringent seine Geschichte aufbaut. Der Versuch, ernste Themen humorvoll aufzugreifen, trägt wesentlich zur Dynamik des Films bei und verleiht ihm eine ungezwungene, beinahe verspielte Note. Der Film baut sich als Roadmovie auf – eine beliebte Form für Geschichten, die sich um Selbstfindung drehen, und eine logische Wahl, wenn man bedenkt, dass Reisen oft als Metapher für innere Wandlung steht.
So wie die Route sie durch verschiedene Landschaften führt, entwickelt sich auch die Beziehung zwischen Paula und Helmut: Ein anfangs distanziertes Miteinander weicht langsam einer tiefen Verbundenheit, die durch geteiltes Leid genährt wird. Jedoch bedient sich „Marianengraben“ häufig bewährter Plot-Elemente. Die Stationen, die das Drehbuch absteckt, sind kaum überraschend, sondern folgen einem fast schablonenhaften Ablauf des Roadmovie-Genres. Von der Begegnung im nächtlichen Friedhof über spontane Wendungen und komische Missgeschicke auf der Reise bis hin zu jenen Schlüsselmomenten, in denen die Figuren erkennen, wie viel sie verbindet.
Diese Vorhersehbarkeit nimmt dem Film zwar etwas an Spannung, jedoch gelingt es Luna Wedler und Edgar Selge, ihre Rollen so authentisch und einfühlsam zu gestalten, dass die emotionale Kraft des Films erhalten bleibt. Luna Wedler bringt Paula als zerrissene und doch lebenshungrige junge Frau auf die große Leinwand, die in ihrer Trauer zwischen Resignation und Trotz schwankt. Ihre Performance ist zugleich verletzlich und energisch. Edgar Selge hingegen interpretiert Helmut als einen von Verlust gezeichneten Mann, dessen Leben in geordneten Bahnen verläuft, bis die Reise mit Paula ihm neue Perspektiven eröffnet. Diese Dynamik zwischen den beiden Protagonisten ist das emotionale Rückgrat des Films.
Die Geschichte von „Marianengraben“ ist in die Kulisse Tirols eingebettet und eindrucksvoll in Szene gesetzt. Die saftigen grünen Wiesen, umgeben von den mächtigen, teils schroffen Berglandschaften, bieten ein beeindruckendes Naturpanorama. Diese Naturbilder wirken teils wie eine Hommage an die Region und könnten so auch aus einem Reiseführer stammen. Während einige Aufnahmen die Natur harmonisch in die Handlung integrieren, vermitteln andere jedoch den Eindruck einer zu offensichtlichen Zelebrierung der Umgebung. Auch Paulas Kostüme entwickeln sich von jugendlichen, urbanen Stilen allmählich hin zu traditionelleren, bodenständigeren Kleidungsstücken, die immer mehr an die alpine Heimat erinnern. So ist „Marianengraben“ neben seiner Roadtrip-Trauerbewältigung auch ein Imagefilm für die Landschaften Südtirols.
Ein wichtiger Aspekt des Films ist die Annäherung an das Thema Trauerbewältigung. Beide Hauptfiguren kämpfen auf ihre Weise mit dem Schmerz des Verlustes – Paula auf eine impulsive und rebellische Art, Helmut hingegen eher kontrolliert und zurückhaltend. „Marianengraben“ zeigt, dass Trauerbewältigung kein linearer Prozess ist und dass jeder Mensch eine individuelle Herangehensweise an den Umgang mit Verlusten hat. Gerade bei Paula spiegelt sich die Gefahr wider, dass Trauer in selbstzerstörerische oder depressive Bahnen führen kann. Der Fokus auf Details – ein Blick, eine Berührung – zeigt, dass nicht immer Worte nötig sind, um eine tiefere Verbindung zu verstehen.
Diese minimalistische Herangehensweise, unterstützt durch die ruhige Kameraführung, hebt die Stärke von „Marianengraben“ hervor, die in der Schlichtheit und im Respekt vor den Emotionen seiner Charaktere liegt. Die Darstellung des Verlustes vermeidet oberflächliche Sentimentalitäten und ermöglicht es dem Publikum, sich auf einer emotionalen Ebene mit den Figuren zu identifizieren. Der Film endet letztlich wo er begann; symbolträchtig im titelgebenden Marianengraben, dem tiefsten Punkt des Ozeans. Es ist ein Ort, der unendlich tief scheint, düster und lebensfeindlich, so wie es Paula in ihrer Trauer empfindet. Doch so wie man aus den Weiten aus Ozeans wieder emportauchen kann, so ist auch die Trauer nicht unüberwindbar.
Fazit:
Auch wenn „Marianengraben“ genretypische Pfade beschreitet, ist die bewegende Roadtrip-Tragikomödie über Trauer, Tod und Neuanfänge sehenswert, getragen von Luna Wedler und Edgar Selge.
>>> STARTTERMIN: Ab dem 7. November 2024 im Kino.
Weitere Informationen zu „Marianengraben“:
Genre: Tragikomödie
Produktionsjahr: 2023
Laufzeit: 87 Minuten
Altersfreigabe: FSK 12
Regie: Eileen Byrne
Drehbuch: Eileen Byrne
Besetzung: Luna Wedler, Edgar Selge, William Vonnemann und viele mehr ...
Trailer zu „Marianengraben“:
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