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Toni Schindele

Kritik zu „La Cocina – Der Geschmack des Lebens“: Hitze, Hektik und Hoffnung

Hinter den dampfenden Töpfen und scharfen Messern einer Großküche entfaltet sich eine Welt voller Dynamik, Konflikte und verborgener Geschichten. Regisseur Alonso Ruizpalacios wagt einen Blick in die Räume, wo Essen entsteht und menschliche Schicksale aufeinanderprallen.


Kritik zu „La Cocina – Der Geschmack des Lebens“
Bildnachweis: © SquareOne Entertainment

Alonso Ruizpalacios ist einer der spannendsten Filmemacher der jüngeren mexikanischen Filmszene. Mit seiner Fähigkeit, gesellschaftliche Themen auf innovative und oft experimentelle Weise zu behandeln, hat er sich nicht nur in seinem Heimatland, sondern auch international einen Namen gemacht. Geboren und aufgewachsen in Mexiko-Stadt, entwickelte Ruizpalacios früh eine Leidenschaft für das Geschichtenerzählen. Nach einem Studium am Drama Centre London kehrte er nach Mexiko zurück, wo er begann, seine Erfahrungen aus Theater und Film zu kombinieren. Sein Spielfilmdebüt „Güeros“ aus dem Jahr 2014 brachte ihm sofort große Anerkennung ein.


Der Schwarz-Weiß-Film, der in den Straßen von Mexiko-Stadt spielt, erzählt die Geschichte einer Gruppe junger Menschen, die während eines Streiks von Studierenden nach einem legendären Musiker suchen. In „Museo“ aus dem Jahr 2018, einer auf wahren Begebenheiten basierenden Geschichte, greift er die Frage nach dem kulturellen Erbe und den Auswirkungen des Kolonialismus auf. Sein dokumentarisches Werk „A Cop Movie“ aus dem Jahr 2021 geht noch einen Schritt weiter. Der Film dekonstruiert die Arbeit der Polizei in Mexiko durch eine innovative Mischung aus Dokumentar- und Spielfilmelementen. Dabei hinterfragt er die Wahrnehmung von Autorität und Macht in einer von Korruption geprägten Institution.


Kritik zu „La Cocina – Der Geschmack des Lebens“
Bildnachweis: © SquareOne Entertainment

Der Film wurde auf der Berlinale uraufgeführt und erneut international gefeiert. Ruizpalacios' Filme brechen häufig mit konventionellen Erzählmustern. Ob durch Meta-Elemente, wie das Durchbrechen der vierten Wand, oder durch visuelle Experimente – seine Arbeiten laden das Publikum ein, Film als Kunstform neu zu entdecken. In seinem neuen und insgesamt vierten Spielfilm „La Cocina – Der Geschmack des Lebens“ adaptiert er das 1959 uraufgeführte Theaterstück „The Kitchen“ des britischen Dramatikers Arnold Wesker, das er schon seit vielen Jahren verfilmen wollte. Denn er war selbst in jungen Jahren in London in einer Großküche angestellt.


Darum geht es:


Im „The Grill“, einem Touristenrestaurant in New York, brodelt es nicht nur in der Küche. Die illegale Einwanderung vieler Angestellter macht sie angreifbar, doch ihre Jobs sind ihre Lebensgrundlage. Pedro, ein Koch mit großen Träumen, verliebt sich in Julia, eine Kellnerin, die jedoch seine Hoffnung auf Zuneigung eiskalt abweist. Als Geld aus der Kasse verschwindet, eskaliert die Situation.


Die Rezension:


Mit „La Cocina – Der Geschmack des Lebens“ präsentiert der mexikanische Regisseur Alonso Ruizpalacios eine visuelle Erkundung des Lebens in den engen Gängen und heißen Räumen einer Großküche, die ebenso faszinierend wie überfordernd ist. Der Film entfaltet sich in stilistisch kunstvollem Schwarz-Weiß, das den Eindruck eines zeitlosen Mikrokosmos vermittelt, während die Handlung tief in die sozialen und kulturellen Konflikte eindringt, die sich hinter den Kulissen eines hektischen Restaurants abspielen. Nur in zwei Momenten wird die matte Farblosigkeit unterbrochen – dann jedoch ebenfalls nur einfarbig: einmal in tiefem Blau und im Finale mit einem Grünstich in der Bildkomposition.


Kritik zu „La Cocina – Der Geschmack des Lebens“
Bildnachweis: © SquareOne Entertainment

Die Kameraarbeit von Juan Pablo Ramírez, geprägt von langen Plansequenzen und ungewöhnlichen Bildkompositionen, rückt uns unmittelbar in das Zentrum des Geschehens. Die Enge der Küche, die Hektik der Bewegungen und das Chaos der Gespräche werden durch dynamische Kamerafahrten und unkonventionelle Bildausschnitte eingefangen. In den Mikrokosmos der Großküche werden wir zunächst durch die junge Estela eingeführt, gespielt von Anna Diaz, die als Immigrantin ohne Papiere ihren Platz in der Küche des Restaurants „The Grill“ sucht. Ihre Perspektive, die zunächst die der neuen, orientierungslosen Beobachterin ist, erlaubt es dem Film, eine fast dokumentarische Authentizität zu erzeugen, die jedoch bald durch narrative Wechsel und inszenatorische Überladung überlagert wird.


Besonders die Beziehung zwischen Pedro und Julia, die von Konflikten, unerfüllten Träumen und gesellschaftlichen Hürden geprägt ist, bildet den eigentlichen Kern der Handlung, der jedoch aufgrund teils kitschiger Dialoge an Schärfe verliert. Die Adaption von Arnold Weskers Bühnenstück „The Kitchen“ aus den 1950er-Jahren dient Ruizpalacios als Grundlage für eine Erzählung über Klassenkonflikte und soziale Entfremdung. Doch wo Wesker in seinem ursprünglichen Werk prägnant und zugespitzt die Lebensrealität der Arbeiterklasse einfing, verliert sich „La Cocina – Der Geschmack des Lebens“ gelegentlich in stilistischen Übertreibungen.


Die einzige vollständig farbige Szene – ganz in Blau:

Kritik zu „La Cocina – Der Geschmack des Lebens“
Bildnachweis: © SquareOne Entertainment

Die parallele Thematisierung von Migration, Rassismus, Sexismus und den harten Realitäten der Gastronomiebranche wirkt oft überladen, als wolle der Film zu viele Botschaften auf einmal vermitteln, ohne diesen je ausreichend Raum zur Entfaltung zu geben. Die visuelle Metaphorik des Films, die die Küche als Mikrokosmos einer geteilten Gesellschaft inszeniert, ist dabei sicherlich einer der stärksten Aspekte. Die vertikale Struktur der Arbeitsräume spiegelt die sozialen Grenzen wider, die die Charaktere tagtäglich erfahren. Ein Highlight des Films bildet da eine lange und ungeschnitten wirkende Plansequenz, die das Chaos und die Energie der Küche in beinnahe Echtzeit einfängt. Diese Szene, in der die Kamera geschmeidig zwischen den Figuren und Handlungssträngen navigiert, vermittelt eine unmittelbare Erfahrung des Getriebenseins.


Es ist ein Moment, in dem die visuelle und inszenatorische Brillanz von Ruizpalacios voll zur Geltung kommt. Doch leider bleibt es bei solchen Momenten, die den Film nur punktuell tragen, während andere Szenen unter überfrachteten Dialogen und plakativer Symbolik leiden. „La Cocina – Der Geschmack des Lebens“ versucht sich als Antithese zu ästhetisierten „Foodporn“-Filmen, die das Kochen und Essen feiern und hier wird die Küche auch als Ort der Ausbeutung, des Schmerzes und der Entfremdung dargestellt. Der Film verzichtet bewusst auf die Präsentation von Kulinarik als Kunst und lenkt stattdessen den Fokus auf die harte Realität der Arbeitsbedingungen.


Kritik zu „La Cocina – Der Geschmack des Lebens“
Bildnachweis: © SquareOne Entertainment

Dieser Ansatz ist erfrischend anders, doch das erzählerische Potential bleibt unausgeschöpft, da die Handlung in einem Übermaß an Themen und stilistischen Experimenten ertrinkt. Trotz seiner Unzulänglichkeiten bietet „La Cocina – Der Geschmack des Lebens“ Momente, die mit ihrer Intensität und visuellen Raffinesse beeindrucken. Doch diese Highlights können die strukturellen Schwächen des Films nicht vollständig überspielen. So bleibt am Ende das Bild eines visuell kunstvollen, aber inhaltlich überladenen Films, der mehr zu wollen scheint, als er tatsächlich zu bieten hat.


Fazit:


Ein durch Stilwillen und temporeiche Kameraarbeit faszinierender Blick hinter die Kulissen einer Großküche, der jedoch in zu vielen Erzählsträngen versandet: Wo „La Cocina – Der Geschmack des Lebens“ mit seiner schwarz-weißen Bildwelt und seltenen, monochromen Farb-Akzenten für ästhetische Höhepunkte sorgt, bleibt es erzählerisch häufig an der Oberfläche.


>>> STARTTERMIN: Ab dem 16. Januar 2025 im Kino.


Weitere Informationen zu „La Cocina – Der Geschmack des Lebens“:

Genre: Drama

Laufzeit: 140 Minuten

Altersfreigabe: FSK 16


Regie: Alonso Ruizpalacios

Drehbuch: Alonso Ruizpalacios

Besetzung: Raúl Briones, Rooney Mara, Oded Fehr und viele mehr ...


Trailer zu „La Cocina – Der Geschmack des Lebens“:


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