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Kritik zu „In Liebe, eure Hilde“: Liebe und Widerstand im Angesicht des Dritten Reichs

Nach „Gundermann“ und „Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush“ hat sich Andreas Dresen nun einer außergewöhnlichen Geschichte aus der NS-Zeit angenommen. Dabei ist „In Liebe, eure Hilde“ jedoch alles andere als der nächste Film über das Dritte Reich.


Kritik zu „In Liebe, eure Hilde“: Liebe und Widerstand im Angesicht des Dritten Reichs
Bildnachweis: © Pandora Film, Foto: Frédéric Batier

Die Geschichte der „Roten Kapelle“ ist ein eindrucksvolles Kapitel des Widerstands gegen das nationalsozialistische Regime, dessen Bedeutung erst spät offiziell anerkannt wurde. Erst 2009 begnadigte der Deutsche Bundestag die Mitglieder dieser Widerstandsgruppe, die lange Zeit fälschlicherweise als kommunistisch gesteuert und spionageorientiert verurteilt wurden. Der Name „Rote Kapelle“ wurde nicht von den Widerstandskämpfern selbst gewählt, sondern war ein Fahndungsname der Gestapo gegen verschiedene Gruppen, die sich dem Regime entgegenstellten.


Das Wort „rot“ verweist auf die vermutete kommunistische Ausrichtung, während „Kapelle“ eine Verbindung zu einem Netzwerk von Funkern und Informanten herstellt, die in verschiedenen Städten Europas aktiv waren. Die „Rote Kapelle“ bestand aus einem losen Zusammenschluss von Einzelpersonen und Gruppen, die gemeinsam gegen die nationalsozialistische Herrschaft kämpften. Dabei handelte es sich nicht um eine zentral organisierte Bewegung, sondern um ein äußerst heterogenes Netzwerk.


Kritik zu „In Liebe, eure Hilde“: Liebe und Widerstand im Angesicht des Dritten Reichs
Bildnachweis: © Pandora Film, Foto: Frédéric Batier

Besonders die Gruppe um Harro Schulze-Boysen und Arvid Harnack in Berlin stach durch ihre vielfältigen Widerstandsaktivitäten hervor: Sie druckten Flugblätter, dokumentierten die Gräueltaten der Nationalsozialisten und halfen Verfolgten. Doch ihr Mut brachte sie ins Visier der Gestapo, und nach der Entschlüsselung von Funksprüchen begann eine Verhaftungswelle. Darunter befand sich auch das Ehepaar Hilde und Hans Coppi, deren Schicksal im neuen Film von Andreas Dresen „In Liebe, Eure Hilde“ im Zentrum steht.


Darum geht es:


Kurz vor ihrer Hinrichtung strahlt die Sonne ein letztes Mal auf Hilde Coppi. Im Hof des Strafgefängnisses Berlin-Plötzensee wartet sie mit zwölf anderen Frauen auf ihr grausames Schicksal, verurteilt wegen „Vorbereitung zum Hochverrat, Feindbegünstigung, Spionage und Rundfunkverbrechen“. Eigentlich war Hilde nie politisch, doch die Liebe zu Hans zog sie in den Widerstand. Mit ihm erlebte sie einen unvergesslichen Sommer …


Die Rezension:


In seinem neuesten Werk „In Liebe, eure Hilde“ beleuchtet Andreas Dresen die komplexen Facetten von Liebe und Widerstand im Angesicht einer brutalen Diktatur. Dabei wählt Dresen bewusst den Blick auf das Alltägliche, das Intime und das Menschliche, anstatt die Helden des Widerstands in großem Pathos zu verklären. Hier geht es nicht um den großen revolutionären Moment, sondern um die kleinen Gesten des Widerstands.


Diese Herangehensweise erlaubt es dem Publikum, die Protagonisten nicht nur als Widerstandskämpfer, sondern als Menschen mit Hoffnungen, Ängsten und Träumen zu sehen. Eine der besten Entscheidungen Dresens ist dabei die nichtlineare Erzählweise, die es dem Publikum ermöglicht, die Schichten von Hildes Leben allmählich zu entdecken, ähnlich wie das langsame Aufdecken eines Puzzles.


Kritik zu „In Liebe, eure Hilde“: Liebe und Widerstand im Angesicht des Dritten Reichs
Bildnachweis: © Pandora Film, Foto: Frédéric Batier

Der Schnitt springt dabei immer wieder zwischen zwei Handlungssträngen hin und her. Einerseits folgt man Hildes Gefängnisaufenthalt und ihrer Verurteilung, während die zweite Ebene uns schrittweise in die Vergangenheit führt. Diese Struktur erlaubt es, die allmähliche Entwicklung der Figurenbeziehungen, insbesondere die Liebesgeschichte zwischen Hilde und Hans Coppi, organisch und emotional ergreifend mitzuerleben. Die alltäglichen Momente – Picknicks am See, Spaziergänge durch die Stadt, intime Augenblicke – wechseln sich ab mit zunehmend düsteren Szenen der Verhaftung und des Verhörs. Je weiter der Film zurückgeht, desto mehr offenbart er die Wurzeln des Widerstandes und die intime Motivation hinter Hildes Entscheidungen.


Liv Lisa Fries’ Darstellung von Hilde Coppi ist dabei zweifellos einer der stärksten Pfeiler des Films. Fries schafft es, eine komplexe Mischung aus Stärke und Verletzlichkeit zu zeigen, ohne jemals in Klischees zu verfallen. Nicht durch große Gesten oder laute Dialoge, sondern durch eine subtile, intime Verkörperung der inneren Kämpfe zeigt Fries Hilde als eine Frau, die ihre Ängste zwar nicht vollständig überwinden kann, aber dennoch den Mut findet, sich gegen das Regime aufzulehnen. Durch die Zeitsprünge zwischen Hildes Erinnerungen und der gegenwärtigen Realität im Gefängnis wird sie Stück für Stück greifbarer.


Hilde, die zu Beginn des Films eine eher schüchterne Sekretärin ist, wird langsam, aber sicher in den Widerstand hineingezogen – nicht, weil sie von Beginn an eine Kämpferin war, sondern weil sie erkennt, dass es das moralisch Richtige ist. Auch die Nebenfiguren sind hervorragend besetzt: Johannes Hegemann verleiht Hans eine Tiefe, die hinter seiner oberflächlichen Sorglosigkeit eine entschlossene und aufrichtige Persönlichkeit offenbart.



Kritik zu „In Liebe, eure Hilde“: Liebe und Widerstand im Angesicht des Dritten Reichs
Bildnachweis: © Pandora Film, Foto: Frédéric Batier

„In Liebe, eure Hilde“ verzichtet auf übliche Darstellungen der NS-Zeit und inszeniert keine stramm marschierenden Soldaten oder Hakenkreuzfahnen. Stattdessen fokussiert der Film sich auf die „normalen“ Menschen, die durch ihre Gesetzestreue und ihr Mitläufertum das System stützten. Ob es der Richter ist, der Hilde verurteilt, oder ihre Wärterin im Gefängnis – sie alle sind keine fanatischen Nationalsozialisten, sondern Menschen, die ihre Aufgaben erfüllen und so das Regime unterstützen. Dieser Ansatz zeigt, dass Diktaturen nicht allein durch ihre Führungsriege, sondern durch die Masse der Mitläufer funktionieren – eine Botschaft, die auch heute noch von erschreckender Aktualität ist.


Die subtile Menschlichkeit, die der Film selbst den Figuren der Täter zugesteht, verleiht der Erzählung eine komplexe Dimension. Diese Menschen erscheinen nicht als Monster, sondern als Teil eines Systems, das sie innerlich längst abgestumpft hat. Das macht den Schrecken des Nationalsozialismus umso greifbarer – es ist die Normalität des Bösen, die Dresen so beklemmend auf die Leinwand bringt. Dabei wird der Film zu einer Reflexion über die moralische Verantwortung des Einzelnen in einem totalitären Regime. Wie viel Mut braucht es, sich gegen ein System aufzulehnen, das von Millionen getragen wird?


Kritik zu „In Liebe, eure Hilde“: Liebe und Widerstand im Angesicht des Dritten Reichs
Bildnachweis: © Pandora Film, Foto: Frédéric Batier

Im Kern geht es in „In Liebe, eure Hilde“ darum, wie das menschliche Gewissen in Zeiten des Bösen agiert. Hilde Coppi steht exemplarisch für den Mut, den es braucht, sich nicht an bestehende Gesetze zu klammern, sondern nach moralischen Grundsätzen zu handeln. Andreas Dresen verzichtet dabei auf jeglichen Pathos und hält seine Inszenierung bewusst zurückgenommen. Dies zeigt sich nicht nur in den ruhigen, fast schon stillen Dialogen, sondern auch in der Bildsprache, die von Kamerafrau Judith Kaufmann hervorragend eingefangen wird.


Die Rückblenden in Hildes glückliche Vergangenheit sind in warmes, goldenes Sonnenlicht getaucht, während die kalten, bläulich-grauen Gefängnisszenen die drückende Schwere von Hildes bevorstehendem Schicksal visuell verstärken. Diese Dualität zwischen Licht und Dunkelheit spiegelt die gegensätzlichen Gefühlswelten wider, die Hilde durchlebt: Hoffnung und Verzweiflung, Leben und Tod. Durch die matte Farbgebung erhalten die Bilder einen dokumentarischen Touch, der die Authentizität des Films zusätzlich unterstreicht.


Kritik zu „In Liebe, eure Hilde“: Liebe und Widerstand im Angesicht des Dritten Reichs
Bildnachweis: © Pandora Film, Foto: Frédéric Batier

Was den Film so tief berührend macht, ist die Art und Weise, wie er seine Geschichte vermittelt. Ohne auf Pathos oder sentimentale Musikuntermalung zurückzugreifen, lässt Dresen seine Bilder für sich sprechen. Er setzt auf eine stille, fast nüchterne Inszenierung, die jedoch gerade durch ihre Zurückhaltung eine ungeheure emotionale Kraft entfaltet und die Szenen – sei es, wenn sie ihrer Mutter sagt, dass es ihr leid tue, da sie zum Tode verurteilt wurde, oder sie ihrem Sohn im Gefängnis für immer Lebewohl sagen muss – gehen unter die Haut.


Auch die schonungslose Darstellung des Moments, in dem die Frauen nacheinander aufgerufen und schließlich dem Scharfrichter übergeben werden, bringt eine beispiellose Härte auf die große Leinwand. Denn der Film begleitet diese letzten Momente in beinahe quälender Echtzeit an jenem 5. August 1943 wurden innerhalb von 35 Minuten insgesamt 13 Frauen mit dem Fallbeil getötet. Diese kompromisslose Art der Inszenierung erzeugt einen tiefen emotionalen Nachhall, der die Grausamkeit des NS-Regimes schonungslos offenlegt und tief erschüttert.


Fazit:


„In Liebe, eure Hilde“ ist ein berührendes Plädoyer für die moralische Courage. Andreas Dresens nichtlineare Inszenierung beleuchtet die komplexe Beziehung zwischen Liebe und Widerstand, ohne in Klischees zu verfallen, herausragend getragen von Liv Lisa Fries. Unbedingt sehenswert!


>>> STARTTERMIN: Ab dem 17. Oktober 2024 im Kino.


Weitere Informationen zu „In Liebe, eure Hilde“:

Genre: Drama

Produktionsjahr: 2023

Laufzeit: 125 Minuten

Altersfreigabe: FSK 12


Regie: Andreas Dresen

Drehbuch: Laila Stieler

Besetzung: Liv Lisa Fries, Johannes Hegemann, Lisa Wagner und viele mehr ...


Trailer zu „In Liebe, eure Hilde“:


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