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Kritik zu „Hagen – Im Tal der Nibelungen“: Eine epische Neuinterpretation

Mythen und Sagen sind in ihrer Aussage zeitlos und doch stellt sich bei jeder Adaption die Frage, wie viel von der Geschichte bewahrt und wie viel neu interpretiert werden sollte. „Hagen – Im Tal der Nibelungen“ wagt genau diesen Balanceakt und bringt frischen Wind in eine alte Legende.


Kritik zu „Hagen – Im Tal der Nibelungen“: Eine epische Neuinterpretation
Bildnachweis: ©Constantin Film Verleih

Das Nibelungenlied ist eines der bedeutendsten Werke der deutschen Literatur. Es weckt bei vielen sicher Erinnerungen an den Schulunterricht, bei anderen wiederum an Richard Wagners Opernzyklus oder wiederum an die Nibelungen-Festspiele in Worms. Die mittelalterliche Dichtung, die auf Geschehnissen der Völkerwanderungszeit zurückgreift, vereint Geschichte, Mythos und Heldenepos und war über Jahrhunderte ein prägendes Element des deutschen Selbstverständnisses. Besonders im 19. Jahrhundert wurde das Nibelungenlied jedoch zum nationalen Mythos stilisiert und später im Nationalsozialismus für ideologische Zwecke missbraucht, was seinen kulturellen Einfluss problematisch machte.


Heute stellt sich die Frage, wie zeitgemäße Adaptionen mit diesem Erbe umgehen. „Hagen – Im Tal der Nibelungen“ geht daher bewusst einen neuen Weg. Anstelle einer weiteren klassischen Verfilmung des Nibelungenliedes orientierten sich Cyrill Boss, Philipp Stennert und Doron Wisotzky für das Drehbuch lose an der Neuinterpretation von Wolfgang Hohlbein, die 1986 veröffentlicht wurde. Die Besonderheit dieser Adaption wird bereits im Titel deutlich; hier wird nicht die Geschichte aus der Perspektive des blonden Jünglings Siegfried erzählt, sondern die des Antagonisten aus der Sage, Hagen von Tronje.


Darum geht es:


Waffenmeister Hagen von Tronje kämpft unermüdlich, um das von den Hunnen bedrohte Königreich Burgund zusammenzuhalten. Als der Drachentöter Siegfried von Xanten in Worms auftaucht, sieht der junge König Gunter in ihm die Rettung. Siegfried soll ihm helfen, die Walküre Brunhild zu gewinnen, um mit ihr die Hunnen zu schlagen. Doch als Kriemhilds Herz für Siegfried schlägt, muss Hagen zwischen Pflicht und Liebe wählen – mit tragischen Konsequenzen.


Die Rezension:


Europa im Mittelalter. Feindliche Hunnen drängen in den Westen.“ So eröffnet der Film mit einem Schriftzug. Auf den ersten Blick könnte diese Einleitung den Eindruck erwecken, dass hier xenophobe Tendenzen bedient werden. Die Formulierung mit Europa stellt aber bereits eine bewusste Ausweitung dar, da im Gegensatz zum Film von Fritz Lang nicht mehr von einem deutschen Volk die Rede ist. Zudem geht es nicht um ethnische Differenzen, sondern vielmehr um die inneren Konflikte der burgundischen Königsfamilie. Der Fokus liegt somit weniger auf einem externen Feind als vielmehr auf den Spannungen innerhalb dieser Dynastie.


Kritik zu „Hagen – Im Tal der Nibelungen“: Eine epische Neuinterpretation
Bildnachweis: ©Constantin Film Verleih

Es geht um die Frage, was Ehre und Heldentum in einer Welt bedeuten, die von Intrigen und Machtkämpfen zerrissen wird. Siegfried, der Drachentöter, wird in dieser Version der Geschichte weniger als unfehlbarer Held, sondern vielmehr als impulsive, fast leichtsinnige Figur dargestellt. Sein Handeln ist geprägt von Selbstsicherheit und Übermut – Eigenschaften, die ihm letztlich zum Verhängnis werden. Hagen hingegen kämpft mit seiner Loyalität zu den Burgundern und seiner Liebe zu Kriemhild, was ihn zu einer vielschichtigen Figur macht, die zwischen Pflicht und Gefühl gefangen ist.


Dabei gelingt es der Inszenierung, Hagen nicht nur als Opfer äußerer Umstände, sondern auch als aktiv handelnde Figur darzustellen, die sich ihrer eigenen moralischen Verantwortung bewusst ist. Der Kampf zwischen Hagen und Siegfried ist so nicht nur eine physische Auseinandersetzung, sondern steht auch symbolisch für den ewigen Konflikt zwischen Pflicht und persönlichen Wünschen, zwischen Loyalität und Verrat. Es ist eine Geschichte über Menschen, über ihre Schwächen, ihre Ambitionen und die oft tragischen Konsequenzen ihrer Entscheidungen. Die Figuren sind vielschichtig, ihre Motive oft ambivalent, und genau das macht den Reiz dieses Films aus. Letztlich stellt sich die Frage: Ist Hagen ein Verräter oder handelt er im Sinne des größeren Wohls?


Kritik zu „Hagen – Im Tal der Nibelungen“: Eine epische Neuinterpretation
Bildnachweis: ©Constantin Film Verleih

Epische, monumentale Fantasyabenteuer sind spätestens seit „Der Herr der Ringe“ sehr beliebt, doch auch wenn „Hagen – Im Tal der Nibelungen“ für deutsche Verhältnisse eine sehr teure Produktion war, war das Budget zu vergleichbaren Hollywood-Produktionen eher gering. Das hat zur Auswirkung, dass der Film bei weitem nicht so actiongeladen ist, wie es die Marketing-Kampagne andeutete. Der letzte Drachenkampf, der Siegfried beinahe unverwundbar machte, wird im Film kaum mehr gezeigt als in den Trailern – die Legende des Drachentöters bleibt auch in der Erzählung eine Legende. Große Schlachten weichen einem charakterfokussierten Drama, in dem das Gespräch oft mehr Gewicht hat als das Schwert.


Doch wenn gekämpft wird, ist das beeindruckend choreografiert. Der tschechische Stuntkoordinator Josef Jelinek entwickelte mit dem Team Kampfstile, die die Stärken und Schwächen der Protagonisten widerspiegeln. So mussten unter anderem Gijs Naber und Dominic Marcus Singer monatelang trainieren, um die Kämpfe authentisch darzustellen. Diese Anstrengungen haben sich in jedem Fall gelohnt und sind spürbar. Doch sieht man darüber hinweg, dass „Hagen – Im Tal der Nibelungen“ kein Actionfeuerwerk ist, wird man an vielen anderen Stellen erkennen, wie aufwändig und detailverliebt die Produktion ist.


Kritik zu „Hagen – Im Tal der Nibelungen“: Eine epische Neuinterpretation
Bildnachweis: ©Constantin Film Verleih

Die Detailverliebtheit zieht sich durch alle Abteilungen. Kostümdesigner Pierre-Yves Gayraud arbeitete rund 18 Monate an der Entwicklung von über 1000 Kostümen. Jedes Detail, von den Stoffen bis zu den Schmuck-Elementen, wurde mit Bedacht ausgewählt, um eine konsequente Ästhetik zu schaffen, die zwar nicht historisch korrekt, aber wunderschön anzusehen ist, wobei alle Kleidungsstücke in engem Zusammenhang mit den Figuren entworfen wurden. Hauptfigur Hagen zeigt so durch sein Kettenhemd und den schweren Mantel nicht nur die physische, sondern auch die psychologische Last, die er trägt.


Hagens Gegenspieler Siegfried wird durch eine spezielle Jacke charakterisiert, bei der sich Pierre-Yves Gayraud an Bomberjacken von Marlon Brando und Steve McQueen inspirierte. Dies verleiht dem Charakter einen modernen wie auch zeitlosen Anstrich. Für Kriemhilds Kostüme wurden in Prag und Rumänien extra auf manuellen Webstühlen nach teilweise uralten Techniken Stoffe kreiert. Die aufwendigen Kostüme und die mystische Atmosphäre, die in nebligen Landschaften und grauen Mauern des Königsschlosses zum Ausdruck kommen, kreieren ein eindrucksvolles Setting und gerade die Kontraste zwischen der geometrischen Enge von Worms und der weitläufigen Natur der Umgebung schaffen für das charakterfokussierte Drama eine spannende visuelle Dynamik, musikalisch sehr epochal untermalt von Adam Lukas und Jacob Shea. Der Soundtrack ist sehr auf Pathos gelegt, ebenso wie die Dialoge.


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Bildnachweis: ©Constantin Film Verleih

Die Dialoge im Film sind zwar zahlreich, doch selten dauern sie lange an. Alles ist präzise und pointiert geschrieben, wobei der Film einen Spagat zwischen einem altertümlichen, fast poetischen Stil und modernen Formulierungen wagt – ein Balanceakt, der mal mehr, mal weniger gelingt. In den besten Momenten entfalten sich brillante, clever geschriebene Dialoge, die direkt auf den Punkt kommen und mit ihrer Schärfe beeindrucken. Doch gelegentlich brechen vereinfachte Äußerungen das grandiose Bild, das zuvor geschaffen wurde.


Ein Beispiel dafür sind simple Zeilen wie „Ich muss den Falken zurückbringen“, die nach einer imposanten Bildinszenierung eher wie aus einem Vorabendkrimi als aus einem monumentalen Epos wie „Hagen – Im Tal der Nibelungen“ wirken. Und trotz der packenden Handlung ist das Ergebnis ein überladenes Werk, das oft zu schnell voranschreitet. Die Geschichte wird in knapp 140 Minuten erzählt, was im Hinblick auf die komplexen Charaktere und die vielschichtige Welt und Handlung für zumindest diesen Spielfilm zu wenig Zeit war.


Kritik zu „Hagen – Im Tal der Nibelungen“: Eine epische Neuinterpretation
Bildnachweis: ©Constantin Film Verleih

Allerdings war die Produktion auch deutlich umfangreicher und wird noch in einer sechsteiligen Mini-Serie bei RTL+ ausgestrahlt. Daher bleibt abzuwarten, ob diese der Geschichte und der Welt mehr Raum bieten kann. Denn der Film kratzt nur an der Oberfläche der Mythologie und der Beziehungen zwischen den Figuren. So bleibt Kriemhilds und Gunters Mutter Ute und gerade auch Hagens Schülerin Damira zu blass. Doch da Gijs Naber, Jannis Niewöhner und nicht zuletzt Lilja van der Zwaag sehr einnehmend spielen, ist „Hagen – Im Tal der Nibelungen“ trotz der etwas fragmentierten Handlung mitreißend.


Fazit:


„Hagen – Im Tal der Nibelungen“ interpretiert die altbekannte Sage um Siegfried, Hagen und Kriemhild neu und bewahrt gleichzeitig ihre zeitlose Aussagekraft. Der Film stellt die inneren Konflikte zwischen Pflicht, Loyalität und persönlichen Wünschen in den Vordergrund und bleibt trotz des bekannten Endes und einer etwas zu kurzweiligen Handlung mitreißend, wobei er für das Finale zudem eine große Überraschung bereithält.


>>> STARTTERMIN: Ab dem 17. Oktober 2024 im Kino.


Weitere Informationen zu „Hagen – Im Tal der Nibelungen“:

Genre: Drama, Fantasy, Abenteuer

Produktionsjahr: 2022

Laufzeit: 139 Minuten

Altersfreigabe: FSK 12


Regie: Cyrill Boss und Philipp Stennert

Drehbuch: Cyrill Boss, Philipp Stennert und Doron Wisotzky

Besetzung: Gijs Naber, Jannis Niewöhner, Lilja van der Zwaag und viele mehr ...


Trailer zu „Hagen – Im Tal der Nibelungen“:




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