Joachim A. Langs Film „Cranko“ nimmt uns mit auf eine Reise durch die Höhen und Tiefen des künstlerischen Genies und wirft dabei einen tiefen Blick hinter die Fassade des Ruhms. Was treibt einen Menschen an, der stets zwischen Perfektion und Selbstzerstörung schwankt?
Ballett, einst eine der führenden Formen der darstellenden Kunst, hat im Lauf der Zeit an gesellschaftlicher Präsenz verloren und ist heute eine eher nischige Kunstform. Während populäre Kulturszenen wie Film, Musik oder Theater immer wieder breite Aufmerksamkeit erfahren und deren Stars in aller Munde sind, ist Ballett längst nicht mehr in diesem Ausmaß im Fokus der Öffentlichkeit. Laut einer Studie des Deutschen Kulturrats aus 2021 gaben nur noch etwa 2,5 % der Bevölkerung an, regelmäßig ins Ballett zu gehen. Besonders junge Menschen scheinen sich seltener für diese Kunstform zu interessieren, was dazu führt, dass sich das Ballettpublikum stark auf eine ältere und kunstinteressierte Nische beschränkt.
In einem Zeitalter, in dem digitale und audiovisuelle Medien dominieren, haben klassische Künste wie das Ballett es schwer, breite gesellschaftliche Aufmerksamkeit zu erlangen. In diesem Zusammenhang ist es nicht überraschend, dass Namen wie John Cranko nur einem Fachpublikum bekannt sind. Cranko, einer der bedeutendsten Choreografen des 20. Jahrhunderts, mag in der Ballettwelt eine Ikone sein, doch außerhalb dieser Nische kennen ihn nur wenige. Der Großteil der Bevölkerung, vor allem diejenigen, die wenig oder gar keinen Bezug zum Ballett haben, dürfte seinen Namen nicht einmal gehört haben. Nun wurde sein Leben von Joachim A. Lang mit Sam Riley in der Hauptrolle verfilmt.
Darum geht es:
Als Gastchoreograph am Stuttgarter Ballett sucht John Cranko nach einem Neuanfang, nachdem er in London zahlreiche Demütigungen erlitten hatte. In der schwäbischen Stadt erlangt er schnell die Gunst des Publikums und steigt zum gefeierten Ballettdirektor auf. Doch der Erfolg bringt auch private Krisen und innere Konflikte mit sich. Angetrieben von seiner Besessenheit für Perfektion, führt Cranko seine Compagnie zur Weltspitze. Doch auf dem Höhepunkt seiner Karriere endet sein Leben tragisch.
Die Rezension:
John Cranko revolutionierte die Tanzszene und wurde durch seine Arbeit am Stuttgarter Ballett weltberühmt. Doch Joachim A. Langs Film ist weit mehr als nur ein klassisches Biopic: Der Film entwirft ein vielschichtiges Bild des Künstlers, indem er seine kreative Genialität, aber auch seine inneren Dämonen und den Kampf mit persönlichen Krisen und Depressionen beleuchtet. Der Spagat zwischen Ballettwelt und emotionalen Abgründen ist dabei eine der zentralen Themen des Films. Crankos Streben nach Perfektion und seine emotionale Zerrissenheit führten ihn immer wieder in tiefe depressive Phasen.
Der Film zeigt, wie der Druck, künstlerisch auf höchstem Niveau zu arbeiten, ihn zunehmend isolierte und schließlich zu seinem tragischen Tod beitrug. Die Eröffnungssequenz, in der die Kamera langsam auf Crankos Augen zufährt und man förmlich in seine Visionen gezogen wird, ist symbolisch für den ganzen Film: Hier wird der Zuschauende dazu eingeladen, Teil von Crankos innerer Welt zu werden. Die Choreografien, die Cranko selbst vor seinem inneren Auge immer wieder entstehen sieht, werden in beeindruckenden Ballettsequenzen visualisiert. Diese verschmelzen mit der Kameraarbeit von Philipp Sichler zu einer nahezu poetischen Darstellung des Tanzes, bei dem Bewegung und Emotion ineinanderfließen.
Die Kamera folgt den Tänzern, umkreist sie, hält inne, um die feinen Nuancen der Bewegungen einzufangen. Dabei wird deutlich, wie Cranko in der Lage war, komplexe Emotionen und Geschichten allein durch den Tanz zu vermitteln. Die Ballettszenen, etwa aus seinen berühmten Werken wie Romeo und Julia und Onegin, fangen das Wesen seiner Kunst ein: den Tanz als Ausdruck des Unsagbaren, eine Art metaphysische Transformation von Schmerz in Schönheit. Die Musik und die Choreografien fügen sich nahtlos in die filmische Erzählung ein, sodass die visuelle Darstellung das Innenleben Crankos widerspiegelt. Die Verquickung von Realität und Gedankenwelt des Künstlers, etwa wenn Cranko in seinen Tagträumen Tänze vor sich sieht, verleiht dem Film eine traumhafte, fast poetische Ästhetik.
Sam Riley in der Rolle des Cranko vermittelt die Zerrissenheit und das Streben nach Perfektion auf packende Weise. Er bringt die Zerbrechlichkeit und gleichzeitig die Leidenschaft des Choreographen auf subtile Weise zum Ausdruck. Riley spielt Cranko als einen Mann, der stets auf der Suche nach dem perfekten Moment ist, im Tanz wie im Leben. Seine Darstellung lässt den Zuschauer tief in die Seele dieses Künstlers blicken – einen Mann, der nie ganz zufrieden war, der immer weiter strebte und dessen Leben oft von Enttäuschungen geprägt war.
Allerdings wird die komplexe Persönlichkeit von John Cranko auch auf eine sehr einfache Formel reduziert: der geniale, aber selbstzerstörerische Künstler, der unter Depressionen leidet. Zwar zeigt der Film, wie Crankos kreative Arbeit untrennbar mit seinen inneren Dämonen verbunden ist, doch die Darstellung seiner Depressionen und seiner homosexuellen Identität bleibt oberflächlich. Auch die Problematik der gesellschaftlichen Repression gegenüber Homosexuellen wird eher verklärt. Insbesondere die Szenen, die Crankos Lebensumstände in den 60er und 70er Jahren schildern, wirken zu idealisiert.
Fazit:
„Cranko“ bietet nicht nur einen Einblick in die Welt eines außergewöhnlichen Künstlers, sondern regt auch zur Reflexion über universelle Themen wie Depression, Perfektionismus und den schmalen Grat zwischen künstlerischem Genie und persönlichem Scheitern an. Es wird klar, dass Cranko ein Mann war, der in der Kunst nach dem suchte, was ihm im Leben versagt blieb: Harmonie und Vollkommenheit.
>>> STARTTERMIN: Ab dem 3. Oktober 2024 im Kino.
Weitere Informationen zu „Cranko“:
Genre: Drama, Biopic
Produktionsjahr: 2023
Laufzeit: 133 Minuten
Altersfreigabe: FSK 12
Regie: Joachim Lang
Drehbuch: Joachim Lang
Besetzung: Sam Riley, Max Schimmelpfennig, Hanns Zischler und viele mehr ...
Trailer zu „Cranko“:
Comments