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Kritik zu „Bones and All“: Der beste Film 2022?

In Zeiten immer schneller werdender Produktionen, die immer weniger Kreativität zulassen und generische Handlungen normalisieren, lieferte der italienische Regisseur Luca Guadagnino in seinem neuen Film „Bones and All“ wieder die Antwort, wie großartig unerwartbares, clever verfasstes Kino sein kann.


©Warner Bros. Pictures Germany


Mit „Dune“-Star Timothée Chalamet, Oscarpreisträger Mark Rylance und der talentierten Taylor Russell in der Besetzung entführt Luca Guadagnino in seinem neuen Spielfilm „Bones and All“ in eine außergewöhnliche Geschichte, die in den 1980er Jahren der Vereinigten Staaten beginnt.


Darum geht es:


Da sie nicht gerade viele soziale Kontakte hat, freut sich die Teenagerin Maren Yearly sehr, als sie von einer Mitschülerin zu einer Übernachtungsparty eingeladen wird. Da sie weiß, dass ihr Vater das nie erlauben würde, schleicht sie sich in der Nacht hinaus. Warum er sie des Nachts im eigenen Zimmer einsperrt, wird bald klar. Denn als sich das schüchterne Mädchen in die Party ihrer Freundinnen eingeschmuggelt hat und sie sich mit ihrer Gastgeberin unterhielt, die ihr den frisch aufgetragenen Nagellack zeigen möchte, beißt sie plötzlich in den Finger, nagt das Fleisch von den Knochen.


Blutverschmiert rennt sie nach Hause, wo ihr Vater in wenigen Minuten wichtige Sachen zusammenträgt, bevor sie Reißaus nehmen, um woanders neu anzufangen. Ihre neue Bleibe ist in Maryland, doch kurz nach dem 18. Geburtstag verlässt sie ihr Vater. Zu sehr war er mit der Situation überfordert, wusste seiner Tochter nicht mehr zu helfen und hinterließ eine Kassette, in der er Maren berichtete, dass sie in ihrer Kindheit bereits mehrfach verstörende Biss-Attacken beging. Auf sich selbst gestellt und mit dem wenigen Geld, was ihr Vater hinterließ, macht sie sich auf die Suche nach ihrer Mutter, die sie nie selbst kennenlernte. Dabei trifft sie auf den verschrobenen alten Sully und Lee, der sich etwa in ihrem Alter befindet, die ebenfalls Menschenfleisch essen …


©Warner Bros. Pictures Germany

Während ihr Sully zu unheimlich ist, begibt sie sich mit Lee auf einen ungewöhnlichen Roadtrip durch die Vereinigten Staaten, bei welchem Maren mehr über sich und ihr kanibalisches Verhalten erfahren will. Während sich Lee und Maren immer näher kommen, stellt sich bald die Frage, ob sie überhaupt wahre Liebe erfahren können. Trotz aller Bemühungen, allem stets zu entfliehen, müssen sich beide ihrer schrecklichen Vergangenheit stellen, um in eine gemeinsame Zukunft gehen zu können.


Die Rezension:


Luca Guadagnino widmet sich in seinem neuen Spielfilm dem Kanibalismus - doch „Bones and All“ erzählt keine brutale Geschichte, welche blutiges Menschenfressen fokussiert. Daher wird die kannibalistische Darstellung selbst nicht grenzüberschreitend, sondern eher die schonungslose Erzählweise. Explizite Gewalt wird zu keinem Zeitpunkt überspannt und dient eher funktional zur Verdeutlichung des kannibalischen Triebes.


Dabei macht das Drehbuch von David Kajganich vieles sehr richtig und begeht nicht den Fehler, das Menschenfressen selbst erklären zu wollen. Es lebt vom Mysteriösen, vom Umstand der Un­er­klär­lich­keit, mit dem die Figuren der Handlung allerdings unterschiedlich umgehen. Während sich der eine sein Essen in ohnehin sterbenden Menschen sucht, um nie selbst töten zu müssen, lockt ein anderer seine Beute in einen Hinterhalt und ein anderer wiederum kämpft gegen den gefährlichen Drang an. So werden bereits hier sehr subtil charakteristische Merkmale herausgearbeitet. „Bones and All“ adaptiert Camille DeAngelis' gleichnamigen Roman aus dem Jahr 2015 und erzählt eine atmosphärische Sinnsuche zwischen klassischem Außenseiter-Roadmovie und düsterem Horror. Der Kanibalismus ist dabei lediglich das Fundament der Handlung.


©Warner Bros. Pictures Germany


„Die Welt der Liebe will keine Monster in sich“ – diese schmerzhafte Erkenntnis ist das Dilemma der beiden Protagonisten Lee und Maren, die der Zuschauer auf iher Suche nach Identität begleiten. Doch auch wenn in ihnen viele Motive klassischer Probleme junger Erwachsener wieder zu finden sind, lässt die clever verfasste Handlung vieles recht offen. Eine in sich verschlungene Handlung und tief gehende Dialoge erschaffen eine ganz eigene Atmosphäre. Heraus kommt ein Film, der einen von der ersten Einstellung an in den Bann zieht, was nicht zuletzt an einer hervorragenden und abwechslungsreichen Kameraarbeit liegt, die die Szenen wirklich besonders einfängt.


Fazit:


In „Bones and All“ wird ein besonderes zärtliches wie eindringlich intensives Bild gezeichnet, welches ausgehend von der Kanibalismus-Methapher eine Geschichte erzählt, wie man sie so noch nie zuvor auf der großen Leinwand erleben konnte. Zwischen Liebe und Tod, Horror und Außenseiter-Ballade ist Luca Guadagninos ein ganz besonderes Werk, auf seine ganz eigene Art ganz großes Kino!

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